Gerhard Schröder fordert neue Reformen

Agenda 2020 Zehn Jahre nach Verkündung der Agenda 2010 plädiert Altkanzler Schröder für eine Weiterführung der Reformen. Doch Verbesserungen für die Arbeitswelt sind kaum zu erwarten

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Gerhard Schröder fordert neue Reformen

Foto: AFP/ Getty Images

Im Herbst 2002 konnte die bestehende Regierung aus SPD und Grünen die Bundestagswahl mit knapper Mehrheit gewinnen. Das erfolgreiche Krisenmanagement der Jahrhundertflut an Elbe und Donau sowie die Kritik am anstehenden Irakkrieg gelten als wesentliche Gründe für den Wahlerfolg von rot-grün.

Eher schlecht war damals die Lage am Arbeitsmarkt. Das Land zählte über vier Millionen Arbeitslose. Vor diesem Hintergrund hat der damalige Bundeskanzler Schröder im März 2003 die Agenda 2010 verkündet. Mit drastischen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollte die Arbeitslosigkeit verringert werden. Und tatsächlich konnte die bei den Arbeitsagenturen registrierte Zahl auf heute etwa drei Millionen gesenkt werden. Doch der Preis war hoch – zu hoch. Denn Sozialabbau, ein ausufernder Niedriglohnsektor sowie eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen waren das Ergebnis. Nie war die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesrepublik so hoch wie nach den Reformen unter Altkanzler Schröder. Dabei ist die Verschlechterung der Arbeitswelt auf zwei zentrale Gründe zurückzuführen.

Erstens wurde mit „Hartz IV“ ein System implementiert, welches das Arbeitslosengeld signifikant verringerte und den allgemeinen Druck auf die Arbeitssuchenden deutlich erhöhte. Dies hatte nicht nur Auswirkungen auf die unmittelbar Betroffenen. Weil nun das Damoklesschwert „Hartz IV“ beständig über der Republik schwebte, waren auch die meisten Beschäftigten in Unternehmen sowie im öffentlichen Dienst bereit, zum Teil wesentlich schlechtere Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Zu groß war die Angst, den Job zu verlieren und damit nach nur kurzer Zeit im „Hartz IV-System“ zu landen. Dieser Zustand dauert bis heute an – nennenswerte Korrekturen an der Agenda 2010 sind nicht erfolgt.

Zweitens wurde der Niedriglohnsektor durch vermehrte Zeit- und Leiharbeit deutlich ausgeweitet. Gut 20% der Beschäftigten mussten im Jahr 2010 unter der Niedriglohnschwelle von etwa zehn Euro pro Stunde arbeiten. Zwar wollen inzwischen alle im Bundestag vertretenen Parteien Mindestlöhne einführen – lediglich in der konkreten Ausgestaltung gibt es Unterschiede. Doch ob den vollmundigen Ankündigungen wirklich wirksame Taten folgen werden, bleibt abzuwarten.

Nun hat Altkanzler Schröder publikumswirksam eine „Agenda 2020“ gefordert, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Im Kern will Schröder mehr Investitionen in Forschung und Bildung sowie eine stärkere Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für Migranten. Zwar stellt die Verbesserung der Bildungschancen eine wichtige Maßnahme dar; doch besonders neu und originell kommt dieser Vorschlag nicht daher. So vergeht kaum ein Tag, ohne dass Parteipolitiker lautstark nach mehr Geld für die Bildungspolitik rufen. Und die Forderung nach mehr Einwanderung klingt ebenfalls vernünftig. Die demographische Entwicklung, die durch eine schrumpfende und älter werdende Gesellschaft geprägt ist, verlangt nach Zuwanderung.

Die Agenda 2020-Idee von Gerhard Schröder, der einst „Genosse der Bosse“ genannt wurde, wird bei seinen Parteifreunden sicherlich auf ein positives Echo stoßen. Doch ist von der SPD tatsächlich zu erwarten, dass sie die Arbeitswelt in Zukunft durch weitere Maßnahmen deutlich verbessern wird? Hierzu wäre aus meiner Sicht eine weitgehende Rücknahme der vor zehn Jahren verkündeten Agenda 2010 erforderlich. Leih- und Zeitarbeit müssten zurückgedrängt und der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II auf etwa 500 Euro monatlich erhöht werden. Gleichzeitig gehört das gesamte Arbeitsrecht auf den Prüfstand, mit dem Ziel, die Position der Arbeitnehmer zu stärken. Und schließlich sollte über Arbeitszeitverkürzungen nachgedacht werden. Dank der gestiegenen Arbeitsproduktivität – vor allem im produzierenden Gewerbe – ließe sich die Wochen-, Monats- oder Jahresarbeitszeit deutlich reduzieren. Diese weitreichenden Maßnahmen jedoch sind von der SPD eher nicht zu erwarten.

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