Magazin "stern": Skandal in der Hotelbar

Dirndlgate Die Zeiten des investigativen Journalismus scheinen vorbei. Statt große Skandale zu enthüllen, wie 1973 die Watergate-Affäre, greift der Boulevard weiter um sich.

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Es war Wahlkampf in den USA: Fünf Männer brachen im Juni 1972 in die Wahlkampfzentrale der demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex ein, um an Informationen zu gelangen. Zwei hartnäckige Journalisten der Washington Post deckten diesen Skandal auf, der am Ende dem republikanischen Präsidenten Nixon das Amt kostete. Dieser Vorfall ging als Highlight des investigativen Journalismus in die Geschichte ein.

Rund 40 Jahre später wird eine Journalistin des Magazins stern vom FDP-Fraktionsvorsitzenden Brüderle mit sexuellen Anspielungen behelligt. Wie es heißt, kam die Heimatstadt München der Journalistin Laura Himmelreich zur Sprache. Und als es um das Oktoberfest ging, machte Brüderle in anzüglicher Weise die Bemerkung, dass sie auch ein Dirndl ausfüllen könne. Freilich stellt Sexismus in der Politik – wie in der Gesellschaft überhaupt – ein ernst zu nehmendes Problem dar. Die Causa Brüderle jedoch erscheint mir etwas überzogen, zumal der Vorfall sich vor einem Jahr zutrug und erst jetzt publik gemacht wurde. Warum also versucht der stern aus dieser Sache einen Skandal zu machen?

Seit Verbreitung der Internetnutzung haben die klassischen Printmedien schwer zu kämpfen, um die Höhe der Auflage zu halten. Der traditionsreichen Frankfurter Rundschau ist dies nicht gelungen: Ende letzten Jahres musste das linksliberale Blatt Konkurs anmelden. Auch die Financial Times Deutschland, die sich mit eher trockenen Wirtschaftsthemen hervortat, konnte sich nicht auf dem Zeitungsmarkt behaupten. Suchen die Verlage nun verstärkt ihr Glück darin, mit vermeintlichen Skandalen und Sensationsmeldungen Aufmerksamkeit beim Publikum zu erhaschen? Wollen sich die Zeitungen und Magazine an Plapper-Plattformen wie Facebook, Google & Co. orientieren? Und wieso wird der investigative Journalismus nicht gestärkt, um Skandale von enormer Tragweite aufzudecken?

Den Medien kommt in einer Demokratie eine zentrale Bedeutung zu. Für die interessierte Öffentlichkeit stellen sie zumeist die wichtigste Informationsquelle dar. Insofern tragen die Medien ein hohes Maß an Verantwortung. Gleichzeitig können sich die Bürger inzwischen über das Internet informieren. Augenzeugen von wichtigen Geschehnissen schreiben über das Erlebte und stellen ihre Berichte ins Netz. Ich denke, die Zukunft der Medien wird darin liegen, professionellen Journalismus mit der Internet-Community zu verbinden. Dann wird vielleicht auch der investigative Journalismus eine Renaissance erleben.

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