Nach Diktatur und Führerkult im sog. Dritten Reich bestand ein zentrales staatspolitisches Ziel für die neue Bundesrepublik Deutschland darin, die Macht einzelner Personen deutlich zu begrenzen. Deshalb wurde dem Staatspräsidenten - anders als in Frankreich - eine eher repräsentative Rolle zugesprochen. Der Kanzler wiederum wird vom Parlament gewählt und kann bei fehlendem Vertrauen durch den Bundestag wieder abgewählt werden. Im Bundestag allerdings sitzen Parlamentarier, die ihr Mandat in erster Linie ihrer Partei verdanken. Denn bei Bundestagswahlen zählt vor allem die Zweitstimme, also jenes Kreuzchen, das die Wähler bei einer bestimmten Partei machen.
Das deutsche Wahlrecht führt somit faktisch dazu, dass sich ambitionierte Parteimitglieder häufig der Parteidisziplin unterordnen, um politisch Karriere zu machen. „Innerparteiliche Geschlossenheit“ steht im Kurs ganz oben – insbesondere vor Wahlen. Diese Denkweise wird auch von den Medien angeheizt: Kontroverse Diskussionen innerhalb einer Partei werden oft als Zerstrittenheit dargestellt, während eine einheitliche Meinung in möglichst allen Fragen positiv beurteilt wird. Hierunter leidet jedoch die innerparteiliche Demokratie sowie eine lebendige Debattenkultur.
Nun mag man einwenden, dass es schließlich viele verschiedene Parteien gebe, die Wähler also genügend Auswahl hätten und somit dem Anspruch einer pluralistischen Demokratie ausreichend Rechnung getragen werde. Doch wenn man sich das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier im Bundestag betrachtet, so wird man feststellen, dass in allen wichtigen Fragen die etablierten Parteien praktisch einheitlich abgestimmt haben. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne haben gemeinsam den Sozialabbau organisiert, die Steuern für Großunternehmen und Wohlhabende gesenkt, geostrategisch motivierten Militäreinsätzen zugestimmt, ja selbst der jetzige Bundespräsident wurde von diesen relativ einheitlich agierenden Parteien ins Amt gebracht. Und es ist zu erwarten, dass auch die Linkspartei sich dem Mainstream anpassen wird, falls sie eines Tages auf Bundesebene in Regierungsverantwortung kommen sollte.
Ein zentrales politisches Ziel sollte also sein, die demokratischen Strukturen deutlich zu verbessern. Dazu müsste aus meiner Sicht zunächst die Macht der Parteien verringert werden. Die Bürger sollten in verstärktem Maße die Möglichkeit erhalten, politische Kandidaten direkt wählen zu können. Hierzu könnte das die Parteien begünstigende Verhältniswahlrecht in Richtung Mehrheitswahlrecht geändert werden – die Bedeutung der Kandidaten in den jeweiligen Wahlkreisen würde zunehmen. Dann wären die Parlamentarier gegenüber ihren Wählern vor Ort unmittelbar verantwortlich und könnten parteiunabhängiger handeln. Zusätzlich müsste die innerparteiliche Demokratie eine Stärkung erfahren. Im Parteiengesetz ließe sich verankern, dass wichtige Parteiämter nur durch Ur-Wahlen bestimmt werden dürfen. Somit könnte jedes Parteimitglied bei Personalfragen mitentscheiden.
Insgesamt betrachtet, halte ich mehr „Direkte Demokratie“ für erforderlich. Neben der Auswahl des politischen Personals sollten in verstärktem Maße Volksentscheide zu den verschiedensten Themen möglich sein. Der Philosoph Jürgen Habermas hat in diesem Zusammenhang das Konzept einer „Diskursethik“ vorgeschlagen: Durch einen sog. herrschaftsfreien Dialog sollten die Bürger an der politischen Willensbildung partizipieren können.
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