Alles Meyer

Papenburg Eine Werft und ihre Stadt

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Rechts und links vom Hauptkanal – beim Fischbrötchen am Kiosk, in Hotel und Buchhandlung, im Rathaus sowieso - hört der Besucher das Hohe Lied auf die Eigentümerfamilie der Werft, die die modernsten Kreuzfahrtschiffe der Welt baut.

Der Stadtführer stellt sich als bekennender Lokalpatriot vor, der Ostfriesen und italienische Kapitäne von Kreuzfahrtschiffen verachtet und seine Heimat liebt: 60% Katholiken, 60% CDU, Vollbeschäftigung und ein erfolgreiches, bodenständiges Familienunternehmen, das in nun siebter Generation für den Wohlstand der Region arbeite.

Die Selbstinszenierung der Werft ist eindrucksvoll: schöne Bilder in drei Kinos, die ihre Geschichte, den Produktionsprozess eines Kreuzfahrtschiffes und dessen Überführung über die Ems zur 40 Kilometer entfernten Nordsee zeigen; viele Zahlen und Superlative; anschauliche Demonstrationen von technischen Verfahren; Gelegenheit, sich auf den Betten einer Luxuskabine zu räkeln. Zum Schluss nach zwei Stunden ein Blick auf die überdachten Docks, in denen zur Zeit an zwei neuen Schiffen gearbeitet wird.

Danach erzählt unser Führer bei Tee und Gebäck von der Geschichte der Stadt und der Familie Meyer. Die Emslandlager in der Region, in denen die Nazis Kommunisten, Widerstandskämpfer aus den besetzten Ländern Europas und Gefangene der Roten Armee der „Vernichtung durch Arbeit“ zugeführt hatten, kamen in seinen Erzählungen nicht vor. Auch nicht die Geschichte der Papenburger Juden, die in den Vernichtungslagern im Osten gestorben waren. An die erinnert immerhin ein Gedenkstein am Hauptkanal.

Jedoch berichtet er schmunzelnd von einem aktuellen Konflikt der Familie Meyer mit der rotgrünen Landesregierung und der IG Metall: Die Werft habe nach ihrer Expansion nach Warnemünde und Turku den Firmensitz nach Luxemburg verlagert und unterliege damit nicht mehr dem deutschen Mitbestimmungsgesetz, das bei mehr als dreitausend Mitarbeitern die Einrichtung eines Aufsichtsrates unter Beteiligung der Gewerkschaften vorsehe. Den Vorsitzenden des Betriebsrats habe Meyer fristlos entlassen, weil dieser Auszubildende unter Druck gesetzt habe, der Gewerkschaft beizutreten. In dieser Sache laufe ein Prozess.

Am Abend verließen wir erleichtert die schwarze Idylle in Richtung Ostfriesland.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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