Sinn, Winkler und meine dunkle Seele

Stammtischdiskurs Die Gutmenschen sind erst empört und dann erheitert

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D., unser Luhmann-Schüler mit dem schwarz-weiß-blauen Schal der Arminen, schimpfte heute Morgen beim Stammtisch auf die „bildungsbürgerlichen Stichwortgeber rassistischer Angstbürger.“ Es stellte sich heraus, dass er die Professoren Sinn und Winkler meinte, die gestern die deutsche Flüchtlingspolitik kritisiert hatten. Sinn, leider Sohn einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie aus Bielefeld, werfe der Regierung vor, dem türkischen Autokraten den Weg nach Europa zu ebnen*, und Winkler, ein wieder mal preisgekrönter Historiker, leider mit Nähe zur SPD, habe gestern auf der Buchmesse in Leipzig eine „nachhaltige“ Flüchtlingspolitik gefordert – das sei eine, die die objektiven Grenzen der Aufnahmefähigkeit der europäischen Staaten akzeptiere und auf ihre Mehrheitsfähigkeit in der Gesellschaft achte.

Wir stöhnten. Dieser Sinn war uns allen suspekt, ein Sympathisant erst der marktradikalen, dann der rechtspopulistischen AfD. Aber Winkler? Wir bestellten noch einen Espresso und setzten zu seiner Verteidigung an: Der habe halt einen Horror vor jeder Art eines „deutschen Sonderwegs“, und seine Verehrung für Max Weber verführe ihn dazu, in den nationalistischen Zäunebauern ehrbare Verantwortungsethiker und in Merkel und ihren gesinnungsethischen Unterstützern naive Gutmenschen, bestenfalls, zu sehen. Schwieriger Fall, der Winkler. Wir sollten erstmal lesen, was er in Leipzig wirklich gesagt hat**.

Ich berichtete dann, dass ein Kollege in einer irgendwie linken Community*** über die „dunkle Seite“ meiner Seele spekuliert habe. Was sie denn davon hielten? Dazu fiel allen etwas ein:

N. vermutete, dass meine Mitarbeit bei der Flüchtlingshilfe vielleicht Ausdruck eines Helfersyndroms sei, das sich in den Jahrzehnten meiner Tätigkeit als Lehrer gebildet habe;

D. glaubte Indizien dafür zu haben, dass meine Empathie für die vom Abstieg bedrohten Arminen nur die andere Seite meiner Bewunderung für die Hegemonie der Bayern sei, und

O., unser Poet, sagte, dass mein Interesse an experimenteller Lyrik wohl mit meinem Wunsch zusammenhänge, mich als Angehörigen einer elitären Minderheit zu inszenieren.

Als wir uns trennten, waren alle guter Laune. In der Schlange vor der Fischtheke gingen mir die Diagnosen der Kollegen durch den Kopf. Könnte es sein, dass sie …? Quatsch! Selbstbewusst bestellte ich einen großen Topf Heringsstipp.

*Sinns Interview:http://bit.ly/1S8mhGo

**Winklers Rede in Leipzig: http://bit.ly/OcmJqS

***Der Kollege M. über koslowski: http://bit.ly/1puBqYN (21:58)

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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