Ein Dorfpfarrer

Pastor B. Die Kirche von R. ist bekannt für ihren geschnitzten Altar (1520) und dafür, dass der spätere Nazi-Reichsbischof Müller hier seine erste Pfarrstelle gehabt hatte

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Ein Dorfpfarrer

Bild: ALAIN JOCARD/AFP/Getty Images

Mich erinnert sie an den Pfarrer B., der mich hier 1958 konfirmiert und nie Schlagzeilen gemacht hatte.

Meine Geschichte mit Pastor B. begann damit, dass mein Kumpel und ich ( beide etwa 6 Jahre alt ) ein leeres Portemonnaie an den Rand der Dorfstraße legten, an einem dünnen Faden mit uns verbunden. Wir warteten hinter der Hecke auf Passanten, die sich niederbeugten. Wir wollten dann das Portemonnaie schnell wegziehen. Das klappte gut, leider auch mit Pastor B., der sich bei der Oma beschwerte - mit dem Erfolg, dass meine Mutter Hausarrest verordnete.

Kurze Zeit später legte Pastor B. ein gutes Wort für uns ein, als wir die frischen Blumen eines Grabes auf mehrere Gräber verteilt hatten, weil wir es ungerecht fanden, dass alle Blumen auf einem einzigen Grab lagen. Er beruhigte irgendwie die empörte, frisch gebackene Witwe.

Als ich in der Kreisstadt das Gymnasium besuchte und meine Versetzung wegen schlechter Leistungen in Latein gefährdet war, gab mir Pastor B. kostenlose Nachhilfestunden; sein Arbeitszimmer mit vollen Bücherregalen beeindruckte mich, und eine Zeitlang fand ich seinen Rat, später Theologie zu studieren, schmeichelhaft und bedenkenswert.

Etwa 10 Jahre später fand ich in den Entnazifizierungsakten meines Vaters ( „Kategorie IV: Mitläufer“ ) ein Schreiben von Pastor B., in dem er diesem bescheinigte, ein guter Mensch und Christ gewesen zu sein, der niemandem Böses zugefügt habe.

Kurz vor ihrem Tod erzählte mir die Oma, dass sie ihren Mann ( meinen Opa, einen Malermeister ) daran gehindert habe, in die NSDAP einzutreten, weil ihr Pastor B. erklärt habe, dass die Nazis Feinde des Glaubens und der evangelischen Kirche seien. Und weil der Opa kein Mitglied der NSDAP gewesen sei, hätten ihn die Engländer später in 1945 zum Bürgermeister der Gemeinde gemacht.

Noch später nahm mich Pastor B. in seinem Ford Taunus mit, als ich mein Studium in Hamburg begann. Er besuchte Verwandte an der nordfriesischen Küste und setzte mich voller Vertrauen auf Gott und meine sittliche Reife auf der Reeperbahn ab.

Und viel später erfuhr ich, dass der ganz junge Pastor B., ein Mitglied der Bekennenden Kirche, die Schlüssel der Dorfkirche hatte verschwinden lassen, als der Reichsbischof Müller ( ein Deutscher Christ ) in den späten 30er Jahren seine alte Gemeinde besuchte und dort einen Gottesdienst halten wollte. Der habe wütend mit seinem Tross abfahren müssen und sei nie mehr in seine alte Gemeinde zurückgekehrt.

Pastor B. starb Ende der 70er Jahre. Bei seiner Beerdigung an einem stürmischen, verregneten Tag im Herbst in seiner nordfriesischen Heimat war ich dabei.

Seitdem habe ich nur noch bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen an Gottesdiensten teilgenommen. Trotz Pastor B..

Aber das ist eine andere Geschichte.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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