Idylle mit Kratzern

Sommer in der Jammerbucht Fern vom Mittelmeer genossen wir Ferientage im Norden Europas und hatten ein schlechtes Gewissen, jedenfalls ein bisschen.

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Nach unserer Abfahrt am frühen Morgen gerieten wir am Nachmittag auf der A7 südlich von Hamburg in einen Stau, der uns über Stunden zu Gemächlichkeit und Selbstdisziplin zwang. Wir vertrieben uns die Zeit, indem wir, konzentriert auf die Bremslichter des SUV vor uns starrend, unseren Urlaub mit Freunden in der Jammerbucht bilanzierten.

B. fand, dass die eine Woche mit Louisa (20 Monate) und ihren Eltern der Höhepunkt dieses Sommers gewesen sei: so gut gelaunt, neugierig und gesprächig habe sie sich unsere Töchter gewünscht. Was machten die Nichte und ihr Mann richtig, was wir falsch gemacht hätten?

Ich wusste darauf keine befriedigende Antwort und zählte deshalb lieber meine Top Fünf dieses Urlaubs auf: 1. Wind, Wellen, Dünen und hoher Himmel, 2. Louisa, 3. Muscheln, Tuborg und Gammel Dansk in Skagen, 4. die Fernweh angesichts der Fähren in Hirtshals: eine Woche mit einem Schiff der Smyril Line zu den Färöern und nach Island sowie 5. ein Band mit Lyrik von Inger Christensen („die Konversation mit dem Tod/Freiheit Freiheit Freiheit“) und 6. ein guter Krimi: „Schlafende Hunde“ von Ian Rankin.

Was war mies?

„Die Nachrichten vom Kühltransporter am Rande der Autobahn mit den Leichen erstickter Flüchtlinge“, sagte B., die hätten ihr ein schlechtes Gewissen gemacht, die drei Wochen an der Jammerbucht, fern von den Katastrophen im Süden Europas, zu genießen.

Mir fiel das Gespräch mit Lars ein, unserem dänischen Nachbarn, der jeden Morgen in seinem weißen Bademantel mit beträchtlichem zeremoniellen Aufwand die Flagge seines Landes aufzog und abends wieder einholte. Der hatte mir erklärt, dass er im Juni zum ersten Mal die Dansk Folkeparti gewählt habe und die Deutschen einen Fehler machten, wenn sie ihr Land als ein Einwanderungsland verstünden: „Verzicht auf nationale Souveränität zu Gunsten von Europa, islamische Einwanderung und auch noch Ausstieg aus der Atomenergie – das kann nicht funktionieren.“

Dann verließen wir entnervt an der nächsten Ausfahrt die Autobahn, deren Randstreifen von pinkelnden Fahrern gesäumt war, und quälten uns über Landstraßen quer durch niedersächsische Kleinstädte und Dörfer, die stolz ihre dämlichen Schützenfeste ankündigten, nach Ostwestfalen, wo wir gerade noch rechtzeitig zum Spiel der Unsrigen gegen Polen eintrafen.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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