"Kämpfe um die Demokratie"

Fritz Stern 90 Der amerikanische Historiker wurde am 2. Februar 1926 in Breslau als Sohn assimilierter jüdischer Eltern geboren.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

An seinem Geburtstag zieht Fritz Stern ein melancholisches Resümee:

Ich habe mich manchmal beschwert, dass ich aufgewachsen bin mit dem Ende einer Demokratie und jetzt, am Ende des Lebens, die Kämpfe um die Demokratie noch einmal erleben muss. Eigentlich eine traurige Bilanz.

Mit Deutschland, das er mit seinen Eltern 1938 verlassen musste und dessen Geschichte im 19./20. Jahrhundert er als Professor an der Columbia University in New York erforschte, hat er seinen Frieden gemacht:

Ich bin bis heute überzeugt, dass 1989 der strahlendste Moment in Europas dunkelstem Jahrhundert war. Deutschland bekam das Glück der zweiten Chance. Eine zweite Chance, zur herausragenden Macht Europas zu werden - und diesmal, zum ersten Mal, in Frieden und Vernunft.

In seiner Monographie Kulturpessimismus als Politische Gefahr: Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland(1961, dt. 1964, Neuauflage 2005) analysierte er in intellektuellen Portraits dreier Bestseller-Autoren des Kaiserreichs und der Weimarer Republik (Paul de Lagarde, Julius Langbehn, Arthur Moeller van den Bruck) die deutsche Variante der Kritik europäischer Intellektueller an der Moderne und ihren Beitrag zur Legitimation des Nationalsozialismus im gebildeten Bürgertum:

Vor allem haßten diese Männer den Liberalismus: Lagarde und Moeller sahen in ihm die Ursache und Verkörperung allen Übels. Es mag merkwürdig erscheinen, daß sie sich ausgerechnet gegen den Liberalismus wandten, gegen jene politische Kraft, die in Deutschland ewiger Verlierer war. Die Frage, warum sie dies taten, führt uns in das Zentrum ihrer Gedankenwelt. Sie griffen den Liberalismus deshalb an, weil sie in ihm die wichtigste Voraussetzung der modernen Gesellschaft sahen. Alles, was sie fürchteten, schien in ihm zu wurzeln: die Bourgeoisie, das Manchestertum, der Materialismus, der Parlamentarismus und das Parteiwesen, der Mangel an politischer Führung. Ja, sie machten den Liberalismus für all das verantwortlich, worunter sie im Innersten litten. Ihr Ressentiment entsprang ihrer Vereinsamung; ihr ganzes Sehnen war auf einen neuen Glauben gerichtet, auf eine neue Glaubensgemeinschaft, eine Welt mit festen Werten und ohne Zweifel, eine neue nationale Religion, die alle Deutschen einen sollte. All dies lehnte der Liberalismus ab, und deshalb haßten sie ihn, warfen ihm vor, er mache sie zu Ausgestoßenen und entfremde sie ihrer vermeintlichen Vergangenheit und ihrem Glauben.

Sterns Kulturpessimismus war eines der ersten Bücher, das ich mir zu Beginn meines Studiums kaufte, reiner Zufall. Es hat meinen Blick auf Deutschland verändert. Dass seine Analyse des völkischen Nationalismus vor dem deutschen Faschismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch einmal aktuell werden könnte (Angst vor den Folgen der kapitalistischen Globalisierung, Verachtung von Parlamentarismus und politischen Parteien, Stigmatisierung des Fremden als Gefahr für nationale Identität, Sehnsucht nach charismatischen, autoritären Führern usw.) hätte ich bis vor Kurzem noch nicht für möglich gehalten.

Ein aktuelles Interview hier: http://bit.ly/1TzmQuK

Eine Würdigung des Historikers und Zeitgenossen hier: http://bit.ly/1POVH0Z

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden