Heute Morgen, 10:00 Uhr auf dem Siggi, Stammtisch einiger Gutmenschen älterer Jahrgänge zwischen Bio-Bauern, Italiener und prekären Existenzen mit Bierflasche:
N. zitiert aus einem Interview mit dem Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick:
Schon 2014 haben in unseren Studien 58 Prozent der Befragten gesagt, man könne nichts Schlechtes über Ausländer und Juden sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden. Diese Meinung repräsentiert also eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung. Das zeigt, wie sehr die Gesellschaft in einer Populismus-Falle steckt. Köln hat nun deutlich gemacht, wie tief wir bereits in diese populistischen Kämpfe um Deutungshoheiten hineingeraten sind – das gilt auch für die Medien und die Politik. Und diese Polarisierungen erzeugen nun einen Kampf um die angemessene Sprache, die man vorher schon verloren hat.
Wir nicken. So früh am Morgen sind wir zu eleganten Diskursen über die Populismus-Falle noch nicht bereit. Schlechte Stimmung, bis N. aus einer satirischen Kolumne vorliest:
Hier die Umfrageergebnisse vom Donnerstag: 15 Prozent der Sachsen-Anhalter wollen AfD wählen. 51 Prozent der Frauen sehen bikulturelle Beziehungen skeptisch. 50 Prozent der befragten Männer und Frauenfinden vor allem die Option reizvoll, das Smartphone als Fernbedienung für einen heimlichen Stimulus an ungewöhnlichen Orten zu nutzen… 51 Prozent der Deutschen haben schon mal einen Geschenkgutschein verfallen lassen. Damit ist klar: Die Masse sind immer
die Doofen.
Wir schmunzeln: „Das ist gut. Es lebe unsere humanistische Bildung, das Erbe von ’68 und unser Kampf um die Deutungshoheit.“ Und bestellen noch einmal geschäumte Milch mit Schuss.
Alle Zitate aus der taz von heute
Kommentare 6
Die Herznote ist in den Stunden, nachdem sich die Kopfnote verflüchtigt hat, zu riechen ...
Ja, bildet euch nur nicht zu viel ein!
:-)
15 Prozent der Sachsen-Anhalter wollen AfD wählen. ... Damit ist klar: Die Masse sind immer die Doofen.
Wer immer diese (hypothetische oder echte) satirische Kolumne verfasst hat: Ich kann seine oder ihre Mathematik nicht nachvollziehen.
Ist es wirklich doof, eine Partei nicht zu wählen, die in einem benachbarten Bundesland einen Vertreter völlig abstruser Theorien wie Björn Höcke zum Landesvorsitzenden gemacht hat?
Die zitierte Kolumne stammt aus der taz, die bekanntlich von Gutmenschen für Gutmenschen gemacht wird. Ich will Ihnen ihren Witz gern erklären: Sie ironisiert 1. die Umfrage-Manie der Medien und 2. die Arroganz rotgrüner Gutmenschen (hohe Bildung, hohes Familieneinkommen), die zum Beispiel darin besteht, dass sie die hohe Zahl der Wähler und Sympathisanten der Populisten von der AfD (15%) in den östlichen Provinzen der Republik skandalisieren; tatsächlich ist diese ja weniger hoch als die Zahl der Befragten, die Geschenkgutscheine verlieren.
Im Blog kommt durch das Zitat von Zick eine weitere Ebene hinzu: Es zeigt, dass der Anteil derer, die meinen, dass Kritik an Ausländern und Juden mit der Auschwitz-Keule niedergeknüppelt wird, erheblich höher ist als die Zahl der AfD-Sympathisanten in Sachsen-Anhalt. Das wiederum bedeutet, dass für die AfD bei den Nichtwählern und bei den Wählern aller anderen Parteien noch viel zu holen ist.
Das wiederum bedeutet: Der Trost des taz-Satirikers ist hohl - es könnte sein, dass die Zahl der AfD-Sympathisanten und –Wähler zukünftig dem Anteil derer entspricht, die dem Smartphone die Fähigkeit zur erotischen Stimulation an gefährlichen Orten zutrauen (51%).
Wie ist nun die Reaktion der am frühen Morgen auf dem Wochenmarkt zum Stammtisch versammelten Gutmenschen zu verstehen? Die finden die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse amüsant (sie „schmunzeln“), imitieren die Sprache ihrer jungen quasirevolutionären Jahre („Hoch lebe die internationale Solidarität“), bekennen sich in Abgrenzung zu den vermeintlich „doofen Massen“ zu ihrer Bildung ( tatsächlich können sie den altgriechischen Nickname eines dFC-Kollegen übersetzen), zu ihrer Vergangenheit als radikale Minderheit (1968) und zu ihrer Bereitschaft, auch ein halbes Jahrhundert danach noch einmal in den Kampf zu ziehen (diesmal um den Kampf um die Deutungshoheit, was ja zum Glück auch mit Haarausfall und Arthrose möglich ist).
Sie sehen also, Herr Jeschke, das Chaos hat eine gewisse Ordnung, wenn vielleicht auch weniger, als einem Naturwissenschaftler und gerade einem, der in der DDR sozialisiert wurde und nun in der aufgeräumten Schweiz lebt, lieb wäre.
Beste Grüße!
Schön, mal wieder von dir zu hören. Das gibt mir die Chance, mich für den schönen Nachruf vom Sommer '14 zu bedanken. Bin also wieder runter von der Alm, bis auf Weiteres.
Beste Grüße!
Nein, wir sind momentan kampfbereit, wissen aber, dass die nächste Niederlage wohl unvermeidlich ist. Vielleicht helfen (Selbst-)Ironie und Humor darüber hinweg.
Wünsche noch einen schönen Sonntag!