Wir hatten besprochen, was Stadt und Region in den letzten Tagen aufgeregt hatte: eine Bürgerinitiative gegen rechts hatte dazu aufgerufen, den braunen Dreck aus der Stadt zu fegen; Flüchtlinge aus Tschetschenien hatten in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft jezidische Flüchtlinge aus dem Irak angegriffen; und eine 87Jährige, die den Holocaust leugnet, war bei der Verhandlung gegen einen heute 94 jährigen Wachmann in Auschwitz anwesend.
„Krasse Gegend“, sagte D.
„Ach“, sagte O., „schon Ringelnatz hat den kalten Charme der Region erkannt und in Verse gepackt.“ Er holte einen Zettel aus der Manteltasche und las vor:
Marter in Bielefeld
Es war in Bielefeld so bitter kalt.
Ich sah ein Weib, das nichts als eine knappe
Hemdhose trug. Daß ich erschauerte
Und ihren kalten Zustand heiß bedauerte.
Denn sie war nur Attrappe – Fleisch aus Pappe.
Ich wäre gar zu gern zu zweit gewesen.
Nun stand ich vor der reizenden Gestalt.
Mußte herabgesetzte Preise lesen,
und ach, die Ladenscheibe war so kalt.
Der Frost entlockte meiner Nase Tränen.
Die Dame schwieg. Die Sonne hat gelacht.
In mir war qualvoll irgendwas entfacht.
Es kann kein Mann vor Damenwäsche gähnen.
Ein zartes Blau hatte mittlerweile den Himmel über dem Siggi erobert, als D. meinte:
„Die Marter geht weiter: Tönnies feiert heute Abend seinen 60. Geburtstag mit Hoeness, Beckenbauer, Maschmeyer, Roberto Blanco, Helene Fischer und tausend anderen Leistungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltungsindustrie.“
Hämisches Grinsen der Gutmenschen. Tönnies ist der führende Fleischhersteller der Region, Chef eines Familienunternehmens, das mittlerweile ein Global Player mit einem jährlichen Umsatz von 4,5 Milliarden Euro ist. Außerdem Chef von Schalke 04. Eine große Nummer in der Gegend. Die führende regionale Zeitung widmet ihm zum Jubiläum eine Doppelseite („Ein Leben für Fleisch und Fußball“).
Wir wünschten dem Jubilar eine lange Nacht im Kreise seiner Lieben und nahmen uns vor, an diesem Wochenende vegetarisch und ohne Fußball zu leben.
Kommentare 7
Manche sagen ja, die ganze Gegend da sei eine Attrappe. Weiß nicht, der Bahnhof schien mir, vergraut zwar, aber echt. Fast sicher bin ich mir beim Tönniesfleisch, da ist nicht alles drin, was drin sein sollte, dafür wurde es mit was anderem ergänzt...
Danke, dass Sie erinnern! ;)
Ein "Herz für Tiere"
>>"Wenn Clemens Tönnies nicht im Schlachthaus oder im Stadion ist, geht er leidenschaftlich gern auf die Pirsch. "Aber in den allermeisten Fällen schieße ich nichts", versichert er. Nein, er habe nichts gegen Tiere. "Ich achte die Kreatur. Mit mir kriegt jeder Ärger, der auf der Jagd seinen Hund schlägt."<<
„Tönnies Fleisch -worauf Du dich verlassen kannst“
Was Tönnies’ Angestellte zu ihren Arbeitsbedingungen sagen
Moderne Sklaverei?
„Laut Tönnies sei über eidesstattliche Versicherungen klargestellt, dass beim einzelnen Mitarbeiter Stundenlöhne von mindestens rund acht Euro ankommen müssen.<<
Sind Betriebsräte und Gewerkschften machtlos?
Einer, der ganz bestimmt nicht auf der Gästeliste steht: Guntram Schneider, vormaliger NRW
„Es herrschten zum Teil „frühkapitalistische Bedingungen“, so Schneider. Beschäftigte hantierten bei der Fließbandarbeit mit scharfen Messern gefährlich nah nebeneinander, es gebe unzureichende arbeitsmedizinische Vorsorge und keine Anleitungen in der Muttersprache der Mitarbeiter. Die Gewerkschaft NGG kritisiert zudem, dass Bulgaren und Rumänen unwürdig untergebracht seien und zum Teil „Horrormieten“ von 200 Euro pro Bett in kleinen Zimmern zahlen müssten, die sie sich mit mehreren anderen teilen.
Vor allem Fleischzerleger aus Mittel- und Osteuropa "zu Hungerlöhnen" beschäftigt
Nur ohne Gewerkschaft
Hier geht es auch um "wenig kollegiale Schweine"
Gericht spricht Tönnies-Kritiker frei ;)
Guntram Schneider, vormalliger NRW Arbeitsminister
Das wurde noch nicht nachgewiesen. Die Sündenliste ist auch so lang genug, wie die Links von Anne Mohnen zeigen.
Vielen Dank für die Links! Tönnies ist ein Unternehmen, das alles bestätigt, was Kritiker des globalisierten Kapitalismus behaupten. Zu den illustren Gästen der Party gehörte übrigens auch Udo Lindenberg.
"Tönnies ist ein Unternehmen, das alles bestätigt, was Kritiker des globalisierten Kapitalismus behaupten."
Genau, - worüber aber nicht vergessen werden sollte, daß solche Arbeitsbedingungen einschl. unnötiger Selbstgefährdungen (->Polen, 1. Werftstreik & Demo) die zumeist selbst betroffenen "Kritiker" der Alternativen des Kap'mus ebenso aufdeckten, - bevor sie sich dem Kap'mus zuwandten.
(Und diese Verhältnisse waren/sind lange vor der "Globalisierung" des K. sehr üblich. Die Glob., - auch des Kap'mus -, ist zu fördern, damit die Welt möglichst schnell ein Dorf wird, aus dem die Kapitalien nicht mehr vor Steuern u. Abgaben entfliehen können ...)
Udo dürfte einiges für sein Erscheinen gezahlt bekommen haben, - oder er leidet an Konto-Demenz, äh: - Verfall und macht's deswegen jetzt billiger ...
Soviel Satire und Selbstironie (ergo: Belanglosigkeit) ist man hier nicht gewöhnt. Fällt aber trotzdem (oder deswegen) darauf rein und postet reichlich gleichwertiges...
Vielleicht müssen wir uns daran gewöhnen? Es gab hier beim Freitag auch mal bessere Zeiten....