Letzter schöner Tag im Oktober

Goldene Hochzeit Wo wir mal landen

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Neulich begingen wir unsere Goldene Hochzeit.

Da Kinder, Enkelkinder, Freundinnen und Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn anderes vorhatten, krank waren oder es ablehnten, wg Corona Haus oder Wohnung zu verlassen, lasen wir morgens ausführlich die Lokalzeitung und erfuhren so, dass Uwe Seelers Lieblingsgericht die Knackwurst ist, Einzelhändler und der hiesige Pudding-Konzern die Pläne von Rot/Grün zur Verkehrsberuhigung der Altstadt“schärfstens“ kritisieren und Fan-Gruppen die Entlassung des Trainers fordern.

Dann machten wir uns daran, den Garten auf den Winter vorzubereiten, gaben aber nach zwei Stunden auf, weil die Glieder zu schmerzen begannen.

Am Nachmittag fuhren wir mit dem Bus zum Friedhof in K., wo wir im letzten Jahr eine Begräbnisstelle für zwei Urnen erworben hatten. In der Herbstsonne machte der Ort unter einem jungen Ahorn einen friedvollen Eindruck. Wir nahmen auf der nächsten Bank Platz, erinnerten uns, wie unsere gemeinsame Geschichte damals begonnen hatte und die Jahrzehnte danach unser Leben gnädig hin und her geschüttelt hatten. Wir waren, alles in allem, mit unserem Schicksal einverstanden und waren optimistisch, dass Chemotherapie, Operation und Bestrahlungen B.s Krebs besiegen und uns noch etwas gemeinsame Zeit lassen würden.

Auf dem Rückweg aßen wir Kuchen und tranken Espresso und Wasser im Biergarten des nahegelegenen Gasthauses. B. hatte die Traueranzeige für Susanne dabei, eine Freundin, die zu Beginn des Monats an Krebs gestorben war. Sie las das Gedicht von Lars Gustafsson vor, das Susanne für sich ausgewählt hatte:

Das Mädchen

Eines Tages steht das Leben

sanft lächelnd wie ein Mädchen

plötzlich auf der anderen Seite des Baches

und fragt

( auf seine spöttische Art )

Aber wie bist Du da gelandet?

Das gefalle ihr: das Leben als junges Mädchen, der Tod als Rätsel, dieses leichte Sprechen über das Ende. Ich aber hatte keine Lust, über die Gestaltung unserer Traueranzeigen nachzudenken.

Am Abend hörten wir die alten Platten von Tucker Zimmermann, auf dessen Konzert in Münster wir uns vor mehr als einem halben Jahrhundert kennengelernt hatten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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