O. hatte von seiner Reise auf die Färöer geschwärmt, die er nun für den Herbst kostenpflichtig gebucht hatte, und ich von meinem Slalom durch städtische Ämter erzählt (auf der Suche nach einem Mitarbeiter, der seine Zuständigkeit für die Verteilung schulpflichtiger Flüchtlinge auf internationale Förderklassen einräumte), als N. das jüngste Gedicht von Boris Johnson, für das dieser 1000 Pfund Preisgeld erhalten hatte, rezitierte:
There was a young fellow from Ankara
Who was a terrific wankerer
Till he sowed his wild oats
With the help of a goat
But he didn't even stop to thankera.
Wir fanden das handwerkliche Geschick bemerkenswert, mit der ein konservativer Politiker eine lyrische Form (Limerick) und einen innovativen Reim (Ankara …wankerer ... thankera) gegen den türkischen Autokraten in Stellung bringt. Allerdings hatten wir Einwände gegen die sexuelle Metaphorik, weil sie ganz ungeniert den traditionellen Rassismus des Abendlands im Umgang mit muslimischen Kulturen wiederbelebt. „Außerdem“, sagte N., „ist die Inflation der Schmähgedichte auf Erdogan doch nur Ausdruck der Ohnmacht des Westens, die Transformation der Türkei in eine Autokratie mit einer konservativ-islamischen Staatsideologie zu verhindern.“ Wir nickten, aber der türkisch-niederländische Fischhändler, der heute Maischollen im Angebot hatte, schüttelte den Kopf.
Während immer mehr Marktteilnehmer den Siggi bevölkerten, improvisierten wir bei Espresso und Wasser einen Limerick auf Boris Johnson und schmetterten nach einer Weile kollektiver Kreativität diese fünf Verse in den blauen Himmel über Bielefeld:
There once was Boris from London
Who always was proud of his hardon
Then he wanted the Brexit
But he didn’t get it
Now he looks like a sucked and pink bonbon.
Der türkisch-niederländische Fischhändler lächelte amüsiert.
Wir wechselten das Thema: Eishockey-WM in Russland, unsere Jungs nach gutem Spiel gegen die Gastgeber ausgeschieden, schade, aber die Russen hätten den Sieg verdient. Überhaupt Russland. „Hast du ein Gedicht aus Russland auf Lager“, fragten wir O., unseren Poeten. Der tippte auf seinem Smartphone herum und las nach einer Weile diese Verse vor:
Na bitte, sowas verzeiht keiner,
gab der homophobe Nachbar zu,
als der Transvestit in der Richterrobe
auf ihn mit dem Schlagring losging
„Elena Fanajlova heißt die Dichterin“, sagte O., „habe noch nie von ihr gehört. Kehrt die realen Machtverhältnisse einfach um: der homophobe Mainstream als Objekt der Aggression einer sexuellen Minderheit. Der Präsident des Landes inszeniert sich als Macho. Ist das nun ein regimekritisches Gedicht? Oder ist es affirmativ, weil es die heterosexuelle Mehrheit als potentielle Opfer zeigt?“
Wir grübelten, verfluchten die Mehrdeutigkeit guter Lyrik, wandten uns schließlich den verführerischen Maischollen zu und verabredeten uns für den nächsten Freitag um 8 Uhr auf dem Siggi.
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