"Ein fliehendes Pferd"

Martin Walser Die Kritiker waren enthusiastisch: der Autor nach Irrwegen zurück in der Bürgerwelt. Dabei war's eigentlich nur ein belangloser Text über Männer in der Midlife-Krise.

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Dachte ich. Bis ich neulich ein Interview mit Martin Walser las, in dem er Klaus Buch, einer Figur aus seiner Novelle Ein fliehendes Pferd ( 1978 ), beste Grüße ausrichten lässt. Das weckte mein Interesse.

Im Regal fand ich nach einigem Suchen mein altes Exemplar, blätterte unentschlossen, setzte mich, begann zu lesen, holte Kaffee, Wasser und Zigaretten, las weiter und tauchte ein in die kleine Urlaubswelt der vier Protagonisten, irgendwo am Bodensee, vor allem in den privaten Kosmos des Oberstudienrats Helmut Halm aus Stuttgart.

Am Ende des Nachmittags war ich bereit, mein Urteil von damals zu revidieren: Ein verdammt gutes Buch. Warum?

Aus den Gründen, die die Kritiker damals schon unisono angeführt hatten – zum Beispiel die souveräne Beherrschung der literarischen Form, der abgründige Humor in der Schilderung zweier verkorkster Ehen und die artistische Nutzung der Möglichkeiten, die eine personale Erzählperspektive bietet.

Mir gefiel auch die Parodie eines Gymnasiallehrers, der seine Schüler verachtet, weil er glaubt, Besseres verdient zu haben, eine Professur als Germanist vielleicht oder eine Karriere als Literaturkritiker. Der die Sehnsucht hat, „unerkannt zu sein“, und fliehen will, wenn andere ihm zu nahe kommen. Der die Tagebücher Kierkegaards, fünf Bände, mit in die Ferienwohnung nimmt und sich hinter diesen verschanzt, wenn das Leben ihm auf die Pelle rückt.

Aber mir fiel an diesem Nachmittag besonders auf, wie mitleidlos genau und trotzdem sympathisierend Walser die in die Jahre gekommene Ehe von Helmut und Susanne Halm portraitiert:

In der Exposition diese Beschreibung: „Ein alt werdendes Paar, das stumm auf Cafestühlen sitzt und der lebendigsten Promenade zuschaut, sieht komisch aus. Oder trostlos. Besonders, wenn die Frau noch dieses schon seit längerem verstorbene Lächeln trägt.“

Und am Ende, nachdem der tot geglaubte Schulfreund wiederauferstanden und mit seiner jungen Frau mit den „neugierigen“ Brüsten grußlos aus der Novelle verschwunden war, allein in einem Abteil des Zuges nach Montpellier ( statt Überlingen oder Meran ) diese sprachlich eingedampfte Idylle, die alle zukünftigen Möglichkeiten ihrer Beziehung offen lässt: „Eine Weile saßen sie einander stumm gegenüber wie Fremde. Sie in Fahrtrichtung. Er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung.“

Zwischen Exposition und Schlussszene immer wieder mal die Sache mit dem Sex. Halm möchte sich von der „Lustfront“ entfernen. Aber das ist schwer, zum Beispiel nachts im Bett nach dem Essen mit Klaus und Hel, während er seine Füße mit einem wollenen Pullover zu wärmen versucht und seine Frau ihre Hand nach ihm ausstreckt: „Was soll jetzt das, Sabine, sagte er ruhig. Sie antwortete mit Lauten, die er lieber nicht gehört hätte. Draußen blitzte und donnerte es. Ein Nachtgewitter. Auch das noch…Dann frag ich eben Klaus, ob er mit mir schlafen will, sagte sie. Um Gottes Willen, Frau, dachte er, sag das nicht. Ganz langsam und so milde als möglich machte er: Pschscht. Eindeutig beruhigend. Ablenkend. Plötzlich prasselte draußen ein Regen herab. Das hielt er für eine Lösung. Ganz langsam zog er seine Hand zurück. Er zog seine Knie an, suchte die Knie mit dem Kinn, machte sich so klein als möglich…Erst viel später, als er sicher sein konnte, daß Sabine eingeschlafen war, löste sich die Starre.“

Ich nahm mir vor, diese Passage am Abend B. vorzulesen. Die jüngste Tochter, die ihren aktuellen Liebeskummer seit einigen Tagen im Elternhaus kuriert, hielt das aber für keine gute Idee. „Ein mieser Kerl“, meinte sie, „der Typ ist scharf auf die junge Frau des Freundes, das ist alles. B. würde das falsch verstehen, wenn du ihr das vorliest.“ „Wenn du wüsstest“, dachte ich und legte den Walser zurück ins Regal.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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