Parklandschaft mit Massengräbern

Stalag 326 (VI K) Senne Stukenbrock ist außerhalb der Region für seinen Safari-Park bekannt. Zwischen 1941 und 1945 starben hier vermutlich 65000 sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.

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Am 10. Juli 1941, wenige Wochen nach Beginn des Vernichtungskrieges des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion, trafen die ersten Transporte mit Kriegsgefangenen der Roten Armee auf dem Truppenübungsplatz Senne ein.

Der Militärarzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko berichtete über die Zustände im Lager:

„Stacheldraht umgab das gesamte große Territorium. Ringsherum standen Wachtürme mit Maschinengewehren, die auf das Lager gerichtet waren. Grausame, erbarmungslose Wachsoldaten schossen ohne jeglichen Anlass zur Abschreckung auf die schutzlosen Kriegsgefangenen oder prügelten mit Peitschen, Stöcken und Gummischläuchen. Selbst nachdem die Organisationsperiode beendet war, war die Ernährung der Gefangenen mehr als spärlich: 150 bis 200 g Ersatzbrot, Ersatzkaffee und eine Wassersuppe, genannt "Balanda", aus nicht gesäuberten, faulen Kartoffeln, Kohlrüben oder Gras. Nach den großzügigsten Berechnungen betrug die Tagesration 800 bis 850 Kalorien. Das war ein Drittel der Norm, die zur Erhaltung des menschlichen Lebens notwendig ist. Dabei mussten die Gefangenen den ganzen langen Arbeitstag vom Morgengrauen bis zum späten Abend die schwersten physischen Arbeiten verrichten."

Als wir an einem Vormittag im Juni den Ehrenfriedhof für die sowjetischen Kriegsgefangenen besuchten, einige hundert Meter vom ehemaligen Lager entfernt, erschien uns die Parklandschaft fast als ein idyllischer Ort: Birken, große Rasenflächen, Amseln, Ruhe, keine anderen Besucher. Nur der Obelisk, die Gedenksteine und Stelen mit den Namen von 15503 Toten erinnerten noch daran, dass dies der Ort eines großen Verbrechens ist.

Das Stalag 326 war seit dem Sommer 1942 Durchgangslager für sowjetische Kriegsgefangene, etwa 300000, die als Zwangsarbeiter im Ruhrbergbau vorgesehen waren. Am 2. April 1945 erreichten amerikanische Truppen das Lager. Die überlebenden Gefangenen errichteten in den nächsten Wochen auf dem Gelände mit den 36 Massengräbern einen Obelisken und Gedenksteine. Die Inschrift eines Gedenksteins lautet:

MÖGEN UNSERE VOLKSGENOSSEN

IM EWIGEN FRIEDEN RUHEN!

IHRE GRABHÜGEL WERDEN

ÜBER JAHRHUNDERTE HINAUS

AN DIE FINSTERE ZEIT DER

HITLERHERRSCHAFT ERINNERN.

Im ehemaligen Lager wurden in den nächsten Wochen und Monaten deutsche Kriegsgefangene und Nationalsozialisten inhaftiert. Es diente danach über Jahre als Durchgangslager für Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Während des Kalten Krieges vermieden Gemeinde, Land und Bund jede öffentliche Erinnerung an das Todeslager in der Senne. Der Rote Stern auf dem Obelisk wurde entfernt und durch das Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche ersetzt. Die Bürgerinitiative „Blumen für Stukenbrock“, die sich über Jahrzehnte für eine würdige Erinnerung an die Opfer im Stalag 326 eingesetzt hatte, hat die Restauration des Roten Sterns bisher nicht erreicht.

Heute befinden sich auf dem Gelände des ehemaligen Stalag 326 eine Polizeischule des Landes NRW und die Dokumentationsstätte des Lagers, die dessen Geschichte erforscht und Bildungsangebote für die Schulen in der Region macht.

Hier stellte Bundespräsident Gauck am 6.Mai 2015 fest: „Aus mancherlei Gründen ist dieses grauenhafte Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland nie angemessen ins Bewusstsein gekommen – es liegt bis heute in einem Erinnerungsschatten.“

Richtige Worte. Sie wären glaubwürdiger, wenn der Bundespräsident den 75. Jahrestag des Überfalls dazu genutzt hätte, den Schatten der Erinnerung aufzulösen.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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