Im Morgengrauen auf dem Siggi – die Händler waren noch dabei, ihre Stände aufzubauen – konfrontierte uns O. mit der Wahrheit: Die traurige Realität ist, dass jede*r abends oder nachts in eine Situation geraten kann, die ganz schnell tödlich enden kann.
Wir vermuteten, es handle sich um Nachwirkungen des November-Blues, aber er hatte diesen Satz in einer irgendwie linken Community gelesen, in einem Blog, dessen Autor nach eigenen Angaben versucht, auf die zuletzt bekannt gewordenen, mutmaßlichen Verbrechen von Flüchtlingen weder mit den üblichen Beschwichtigungen linksliberaler Gutmenschen noch mit den Verallgemeinerungen und Abschiebefantasien der Rechten zu reagieren.
N. schüttelte den Kopf: Er habe zuletzt um sein Leben gefürchtet, als ihn und seine Ente im deutschen Herbst eine Zivilstreife auf dem Adenauer-Platz mit vorgehaltener Maschinenpistole gestoppt und kontrolliert habe. „Das ist unsere Zeit“, sagte er, „heute erwarten wir Unheil von den Fremden, nicht vom Staatsapparat.“
„Media vita in morte sumus“, zitierte O., unser gelehrter Poet, „klassisches Motiv der abendländischen Literatur. Passt ganz gut zu den gegenwärtigen Kulturkämpfen.“
Ich erzählte, dass Souvik der Meinung sei, dass der Täter von Freiburg den Tod verdient habe. Er verstehe gar nicht, warum es in Deutschland keine Todesstrafe gebe. Zuhause in Bangladesch sei das anders. In der Förderklasse am Berufskolleg hätten sie über den Fall gesprochen. Alle, auch die Muslime, dächten darüber wie er, nur der Lehrer nicht.
„Tja“, meinte N., „da haben wir Gutmenschen noch viel zu tun.“
Wir seufzten. Herr Aziz, der Fischhändler, grinste.
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