Nach den Vätern sterben die Mütter

Zum Ewigen Frieden Sie haben ihre Männer um Jahrzehnte überlebt und führten, sagen die Söhne, ein erfülltes Leben.

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G., die Mutter des ältesten Freundes, war wenige Tage nach ihrem 93. Geburtstag gestorben. Gestern auf der Trauerfeier behauptete der Pastor, sie habe ein erfülltes Leben gehabt: behütete Kindheit, Arzthelferin, Krankenschwester an verschiedenen Frontabschnitten, Heirat, Mutter zweier Söhne, Flucht in den Westen, nach schwierigen Jahren dann etwas Wohlstand, nach dem Tod des Mannes in den 80ern neue soziale Kontakte und einige Reisen, ein selbstbestimmtes Leben noch im hohen Alter und ein schneller, gnädiger Tod.

Im Frühjahr schon war W. gestorben, 89 Jahre alt, die Mutter eines anderen guten Freundes: Bauerntochter aus Schlesien, im Frühjahr 45 vor der Roten Armee in den Westen geflohen, heiratet dort einen jungen Mann aus dem Rheinland, den der Krieg nach Westfalen verschlagen hatte, finanziert nach dem frühen Tod des Mannes die schulische Ausbildung ihrer Söhne mit Putzen, lebt Jahrzehnte allein, die letzten Jahre im Pflegeheim, zunehmende Demenz und körperlicher Verfall, gelegentlich noch eine Zigarette im Hinterhof des Heims.

W.s Beerdigung: die beiden Söhne, ihre Frauen, eine Nichte und wir, getragene Klänge eines Harmoniums, ein junger Pastor gibt sich Mühe, dem Tod der alten Frau, die er nicht kannte, einen Sinn zu geben, zügige Versenkung der Urne im Rasen, dann ein paar Schnittchen in der Mensa des Pflegeheims in Gesellschaft einiger Bewohnerinnen, die im Heim auf den Tod warten.

Anders gestern die Beerdigung von G.: die Friedhofskapelle ist gut gefüllt, Piano und Violine spielen Stücke von Händel und Vivaldi, empathische Ansprache des Pastors mit Szenen aus dem Leben der Toten und Zitaten aus diversen Psalmen, Zug der Trauergemeinde zum Grab, sechs alte Männer mit weißen Handschuhen und schwarzen Zylindern lassen den Sarg routiniert ins Grab, gemeinsames Vaterunser, später Schnittchen, Kuchen und gepflegte Plaudereien über Kinder, Enkel, Krankheiten, Kommunalwahlen, Flüchtlinge und Urlaubspläne in einem Hotel am Rand der Stadt.

Auf dem Rückweg fanden wir, es sei wohl an der Zeit, dass wir uns demnächst bei der Friedhofsverwaltung über Grabarten und Preise informierten.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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