Ist Rettung möglich?

Stammtischdiskurse Die Gutmenschen sind erst deprimiert, schöpfen dann aber Hoffnung

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Heute gegen halb acht auf dem Siggi waren wir müde, denn wir hatten von gestern Abend noch Wiglaf Droste in den Knochen.

„Schräger Humor, Wortwitz, Zigarre. Früher war mehr Schärfe“, meinte N., „da schrieb er:

Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins; dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarrenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder ob sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich, und wer vom Lager für andere träumt, kann gerne selbst hinein.

Na gut, er geht ja schon auf die 60 zu.“

Da mischte sich D. ein, ein nun auch schon pensionierter Luhmann-Schüler und Arminia-Fan, der bei Herrn Aziz seinen Weihnachtskarpfen bestellen wollte:

„Ihr wisst aber schon, dass der Droste Gutmenschen ebenso hasst wie die Nazis?

Wir zünden Kerzen an, Lichtlein oder Wärme und Liebe in einer kalten, kalten Welt. Wir nehmen uns bei den Händen und tanzen Ringelreihen: Seht her - wir fassen Ausländer an. Sogar dunkle, sogar kohlenschwatte. Jaha. Sind wir nicht gut? Doch: Wir sind gut, Gutsein ist gut, alles wird gut, tut tut tut."

„Alter Text“, sagten wir, „heute überholt. Die Rechten haben sich den linken Kampfbegriff inzwischen unter den Nagel gerissen. Ist dem Droste heute wohl eher peinlich.“

„In der letzten Woche“, sagte D., „hat ein Soziologe in der SZ einen originellen Artikel über linksliberale Gutmenschen und Rechtspopulismus geschrieben. Er wirft euch vor, in der Phase der Willkommenskultur nicht die skeptischen Fragen gestellt zu haben, die Konservative und Populisten gestellt haben. Jetzt seid ihr zu schnell bereit einzugestehen, dass ihr Mist gebaut habt. Dabei seid ihr für den Aufstieg der Rechten gar nicht verantwortlich, jedenfalls nicht primär. Nassehis Diagnose ist viel deprimierender."

"Nämlich?"

"Er vermutet, dass es unterschiedliche sozialmoralische Gruppen und Milieus gibt, eine Tribalisierung der öffentlichen Kommunikation. Diese Gruppen suchten nach neuen Wir-Formen: Die Rechten wollen die Nation reaktivieren durch den Ausschluss jener, die angeblich nicht dazugehören; die wohlmeinenden akademischen Mittelschichten üben Selbstkritik, geloben mehr Aufmerksamkeit für die soziale Frage und suchen nach einer klassen- und milieuübergreifenden, Gemeinschaft stiftenden Idee. Dass die Identitätspolitiken sowohl der Bewahrer als auch der Linksliberalen alte und neue Wir-Formen herbeiwünschen, schreibt er, ist auch Ausdruck ihrer Unmöglichkeit."

D. empfahl sich und bestellte seinen Karpfen. Wir schwiegen. „Ist denn nirgends Hoffnung?“, fragte ich. Schweigen. Dann nippte O., unser Poet, am Espresso, blätterte in seinem Sudelbuch, murmelte etwas vom Trost der Poesie und rezitierte:

MARX REDET

Manchmal, wenn es im Westen aufklart,
schaue ich den glitzernden Geldflüssen zu,
die schäumend über die Ufer treten
und das eben noch dürre Land überschwemmen.
Mich amüsiert die Diktatur des Geschwätzes,
die sich als Theorie der Gesellschaft
bezahlt macht, wenn ich den Nachrichten
von unten glauben darf. Mir geht es gut.
Manchmal sehe ich Gott. Gut erholt sieht er aus.
Wir sprechen, nicht ohne Witz und dialektisch
erstaunlich versiert, über metaphysische Fragen.
Kürzlich fragte er mich nach der Ausgabe
meiner Gesammelten Werke, weil er sie
angeblich nirgendwo auftreiben konnte.
Nicht daß ich daran glauben will, sagte er,
aber es kann ja nichts schaden.
Ich gab ihm mein Handexemplar, das letzte
der blauen Ausgabe, samt Kommentaren.
Übrigens ist er gebildeter, als ich dachte,
Theologie ödet ihn an, der Dekonstruktion
streut er Sand ins Getriebe, Psychoanalyse
hält er für Unsinn und nimmt sie nicht
in den Mund. Erstaunlich sind seine Vorurteile.
Nietzsche zum Beispiel verzeiht er jede
noch so törichte Wendung, Hegel dagegen
kann er nicht leiden. Von seinem Projekt
spricht er aus Schüchternheit nie. Bitte,
sagte er kürzlich nach einem langen Blick
auf die Erde, bitte halten Sie sich bereit.

Karl als Engel Gottes, der die Welt rettet? Das gefiel uns an diesem dunklen, usseligen Morgen, und wir bestellten noch einen Espresso.

Der Artikel von Armin Nassehi in der SZ erschien am 13. Dezember. Das Gedicht stammt von Michael Krüger und erschien 1998.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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