Schweigeminuten

Gute Vorsätze Verse, die stumm machen

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Zum Stammtisch der Gutmenschen auf dem Siggi erschien heute auch H. O., der beste Lyriker der Stadt. Er beklagte die allgemeine Redseligkeit der Zeit und vertrat die These Nur auf Nichtgesagtes / ist jetzt noch Verlaß. So beeindruckt waren wir von seiner Fähigkeit, die Evidenz eines gesellschaftlichen Missstands mit dem Stilmittel der Paradoxie anschaulich zu machen, dass wir umgehend verstummten und sprachlos das rätselhafte Verhalten der Menschen an der Fischtheke und an den Ständen der Bio-Bauern beobachteten. Erst nachdem uns der Lyriker verlassen hatte, um seinem Brotberuf als Creative Director einer Werbeagentur nachzugehen, nahmen wir unser Stammtischgemurmel wieder auf, fanden aber kein Thema, das sich zur Skandalisierung eignete, und zerstreuten uns bald.

Wieder zu Hause schlug B., der ich von unseren Schweigeminuten berichtet hatte, vor, in Zukunft mehr zu tun als zu reden, die Tugend der Schweigsamkeit aber auf den öffentlichen Raum zu beschränken und mir eine Obergrenze für meine Bloggerei zu setzen: nicht mehr als 10 im Jahr und nur über bislang Nichtgesagtes. Ich stimmte schweigend zu.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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