Unverhofftes Wiedersehen

Alter Kumpel Begegnung vor Totensonntag

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Der Mann, der mir die Tür öffnete, war mir nicht bekannt. „Hallo, K.-D.“, begrüßte ich ihn, und er rief: „Mensch, K., dass ich dich noch mal sehe!“. Wir schüttelten uns die Hände. Seine Frau kam dazu, und ich überreichte ihr eine dunkelrote Rose, die ich vom Strauß für das Grab der Eltern abgezweigt hatte.

K.-D. und ich waren vor 65 Jahren Schüler der Volksschule in W. gewesen. Ich erinnere mich, dass wir beim Bolzen gern in derselben Mannschaft gespielt hatten und bei Schnitzeljagden oft ein Team gewesen waren. Als meine Eltern mit mir in ein Nachbardorf gezogen waren, hatten wir uns nach und nach aus den Augen verloren.

Vor wenigen Wochen hatte er mich angerufen. Sein Sohn war bei Recherchen zur Geschichte seiner Familie auf einen K. gestoßen, der im 18.Jahrhundert eine Vorfahrin geheiratet hatte. Er hatte sich seines Kumpels von damals erinnert, meine Telefonnummer in Erfahrung gebracht und mich kurzerhand angerufen. Wir hatten uns für den Samstag vor Totensonntag am Nachmittag um drei verabredet.

Bei Kaffee und Apfelkuchen im Wohnzimmer erzählte er aus seinem Leben: Volksschulabschluss, Lehre als Schlosser, vier Jahre Bundeswehr, Meisterprüfung, Lokführer, aktiver Gewerkschafter und Personalrat, Tinnitus, deshalb vor zehn Jahren vorzeitig in den Ruhestand, jetzt noch aktiv in der Kommunalpolitik und als Opa populär bei den Enkelkindern.

Wir kamen dann auf die Politik zu sprechen. Für seine Partei, die SPD, sehe es nicht gut aus. Es komme bei den Leuten nicht gut an, sich mit der Flüchtlingspolitik Merkels zu solidarisieren. Das Kreisjugendheim sei seit Wochen voll mit Syrern und Afghanen, niemand wisse, wie das weitergehen solle. Gabriel und Seehofer müssten sich in der Koalition für eine Wende stark machen. Als ich berichtete, ich sei in der Flüchtlingshilfe aktiv, schien er für einen Moment irritiert. Aber wir vertieften die Sache nicht.

Mein Kumpel von damals ist heute eine imposante Erscheinung ( etwa 190 cm, schlank, volles Haar, keine Brille ) und macht den Eindruck eines Menschen, der mit seinem Leben einverstanden ist. Für mich hatte er ein Foto unserer Klasse aus dem Jahr 1952 gescannt und ausgedruckt. Der Anblick des Jungen, der ich vor 63 Jahren gewesen war, rührte mich: groß, dünn, mit aufgerissenen Augen und abstehenden Ohren und in meinem Lieblingspulli, meinem grünen Nicky.

Auf der Rückseite des Fotos hatte K.-D. die Namen notiert, und er gab sich Mühe, mir die Menschen aus unserer fernen Vergangenheit durch Anekdoten wieder nahezubringen. Bei Anna B. wurde seine feste Stimme leiser, und er brach seine Erzählung ab, als seine Frau ins Wohnzimmer zurückkam.

Später begleitete er mich nach draußen, wo ich eine Zigarette rauchte. Hier erzählte er mir, dass er seit einiger Zeit immer wieder mal an Anna B. denke und sich vorstelle, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er sie … Na ja, seine Renate sei auch ganz in Ordnung und eine tolle Mutter seiner Kinder.

Beim Abschied stellte sich heraus, dass K.- D. eine Dauerkarte für die Alm hat, ein Geschenk seiner Kinder, und wir verabredeten uns für das Heimspiel der Arminen am ersten Samstag im Dezember.

In der Nacht fiel mir L. ein, an die ich schon einige Jahrzehnte nicht mehr ( na ja: kaum ) gedacht hatte. Wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn…


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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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