„Wenn Ostern kommt …“

Zum Welttag der Poesie Ein Gedicht des Dichters, Punk-Musikers, Literaturwissenschaftlers und Majdan-Aktivisten Serhij Zhadan über Kolja und seine Blondinen in der postsowjetischen Ukraine

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Lukoil

Wenn Ostern kommt und der Himmel sich uns zuwendet,
alle im Stress sind, ist doch Ostern, schließlich,
dann fangen die Verstorbenen an, sich in der Erde umzudrehen,
mit ihren Ellenbogen den kalten Lehm zerteilend.
Ich habe Freunde begraben,
ich weiß, wie das ist – einen Freund zu verscharren,
wie ein Hund seinen Knochen,
und zu warten, bis der Himmel
sich dir zuwendet.

Da gibt es soziale Gruppen,
denen solche Rituale besonders wichtig sind,
ich meine hier vor allem den Mittelstand.
Alle haben gesehen,
welche Schwermut die Regional-
vertreter der russischen Ölkonzerne befiel,
als sie auf den endlosen
Friedhofsfeldern zusammenkamen, um den nächsten
Geschäftsfreund mit abgeschossenen Lungen zu verscharren;

alle haben den harten Schlag der Herzen gehört,
als sie am Sarg standen,
sich ein paar Tröpfchen Rotz und Wasser von ihren
Dolce & Gabbana wischten
und Hennessy aus
Einwegbechern
kippten.

Tja, Kolja, haben sie gesagt, was für eine Heimzahlung.
Auf den endlosen Offshore-Feldern
sind wir wie Wildgänse im Herbst, die Leber voller Schrot,
in die kalten Wasserläufe des Vergessens gefallen.

Wie, haben sie sich gefragt, wollen wir denn
unseren Bruder ausrüsten
für seinen langen Weg
in Lukoils strahlende Walhall?
Wer soll ihn begleiten
in die dunklen Höhlen des Fegefeuers?

Weiber, sind sich alle einig, Weiber,
Weiber braucht er,
gute Weiber,
teure Weiber, wohl erzogen,
im Winter werden sie ihn wärmen,
im Frühling werden sie ihm das Blut runterkühlen,
eine Platinblonde legen wir ihm zur Linken,
und eine Platinblonde legen wir ihm zur Rechten,
damit er gar nicht merkt, dass er schon tot ist.

Ach, dieser Tod ist ein Territorium, wo unsere Kreditkarten
nichts taugen.
Der Tod ist das Territorium des Öls,
möge es seine Sünden abwaschen.
wir legen ihm Gold und Waffen zu Füßen,
Pelz und fein gemahlenen Pfeffer.
In die Linke legen wir ihm das letzte Nokia,
in die Rechte ein echtes Weihrauchsäckchen aus Jerusalem.
Aber das Wichtigste sind die Weiber,
die zwei Weiber, die zwei Platinweiber sind das Wichtigste.
Genau, das ist das Wichtigste, nicken alle.
Genau, nicken die Weiber.
Genau, genau, ruft Kolja zustimmend aus seinem Sarg.

Zu Ostern werden wir alle richtig sentimental,
wir stehen, harren aus, bis sich die Toten
erheben und aus dem Jenseits zu uns herüberkommen.
Nie ist der Tod so interessant,
wie wenn du Freunde begräbst.

Als sie den dritten Tag vor dem Leichenhaus
Wache halten, besiegt er endlich am Morgen des dritten Tages
mit seinem Tod den Tod und tritt
zu ihnen heraus ins Krematorium, sieht,
dass sie alle entkräftet schlafen
nach dem dreitägigen Gelage,
sie liegen einfach im Gras
in ihren bekotzten
Dolce & Gabbana.

Und da nimmt er leise,
um keinen zu wecken,
einem das Nokia-Ladegerät ab
und kehrt zurück
in die Hölle
zu seinen
Blondinen.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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