Nordkap und zurück

Postschiff Freunde hatten uns zur Kreuzfahrt entlang der nordnorwegischen Küste überredet. Wir hatten Zeit, einen ausreichenden Dispo und Lust auf arktische Seelandschaften.

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Die Landschaften waren sensationell, das Leben an Bord war erträglich, und wir lernten etwas über die Befindlichkeiten gut situierter Europäer, auch über deutsche Geschichte.

Auf Deck 7, achtern backbord, trafen sich mehrmals täglich Raucherinnen und Raucher aus Europa, den USA und Japan. Irgendwann wurden aus Konversation Gespräche über den Zustand der Welt. Ein Schwede zum Beispiel war zufrieden mit dem Ausgang der Wahlen in seinem Land - Schweden werde schwedischer werden, weniger EU-Europa, mehr Sicherheit an den Grenzen, weniger Multikulti. Ein US-Amerikaner mit norwegischen Wurzeln erzählte, dass er diese Reise ins Land seiner Großeltern alle vier Jahre mache, dann habe er das Geld dafür zusammen. Er zeigte seinen amputierten Unterschenkel, er rauche aber tapfer weiter. Der Japaner legte seinen Mundschutz, den er gegen europäische Bakterien trug, beim Rauchen ab, hörte den Gesprächen der anderen aufmerksam zu und nickte zustimmend. Eine alte Dame aus Sachsen, pensionierte Lehrerin, erklärte uns, was in Chemnitz passiert war (Skandalisierung einer normalen Demo durch linke Medien), und bot uns eine Wette an, dass es im Osten bald zu Koalitionen von Union und AfD kommen werde.

Höhepunkte der Reise waren Expeditionen aufs Festland. Zum Beispiel der Besuch des Nordkaps. Während Bisrat (Norweger mit eritreischen Wurzeln) den Bus über die Straßen von Magerøya lenkte, versorgte uns Esther (Schweizerin mit Wohnsitz in Honningsvag) mit Informationen über Geschichte und Gegenwart der Finnmark. Deren Einwohner mit ihrem seltsamen Akzent hätten lange als etwas tumbe Hinterwäldler gegolten; das habe sich geändert, die Region habe glänzende Wachstumsraten und eine expandierende Hochschullandschaft. Seit den 70er Jahren habe die indigene samische Bevölkerung kulturelle Autonomie, ihre Sprache, bis dahin in den staatlichen Schulen nicht erlaubt, sei nun als Unterrichtssprache in den Grundschulen akzeptiert.

Und die Deutschen?

Ihr letzter Kaiser habe hier gern Urlaub gemacht, mit eigener Yacht, berichtete Esther. Von 1941 bis 1944 hätten sie hier oben in der Zeit der Besatzung 30 000 Soldaten stationiert, meistens Gebirgsjäger aus Österreich. Diese hätten bei ihrem Abzug viele Dörfer und Städte zerstört, zum Beispiel Kirkenes, den Wendepunkt unserer Reise mit dem Postschiff. Heute kämen die Deutschen in großer Zahl als Touristen, etwa 200 000 im Jahr.

Am letzten Abend ein Musik-Quiz, Schwerpunkt: internationale Pop-Musik der 70er Jahre. Nach dem Unentschieden die Stichfrage: Welches deutsche Soldatenlied aus der Nazi-Zeit ist bis heute international bekannt? Der Raucher aus Schweden wusste die richtige Antwort: „Lili Marleen“.

In Bergen gingen wir erleichtert von Bord.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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