Kleine Erfolge in der zweiten Klasse

Leiharbeit Die IG Metall sieht den Tarifabschluss zu Equal Pay in der Stahlbranche als „starkes Signal“. Wie weit dieses reicht, muss sich noch zeigen

Die Meldung versetzte die Gewerkschaften in Entzücken. Erstmals war es der IG Metall in der vergangenen Woche gelungen, einen Flächentarifvertrag abzuschließen, in dem die gleiche Bezahlung von Stammbeschäftigten und Leiharbeitern festgeschrieben ist. In der nordwestdeutschen Stahlbranche gilt künftig Equal Pay. „Das ist ein starkes Signal“, freute sich der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Oliver Burkhard.

Ob die Einigung von Düsseldorf den Umgang mit der Leiharbeit in Deutschland insgesamt verändern wird, bleibt jedoch abzuwarten. Von den rund 85.000 Beschäftigten in der Stahlbranche sind nur etwa 3.000 Leiharbeiter. Der Abschluss kostet die Industrie nicht viel. Dennoch wächst im Arbeitgeberlager die Sorge vor einem Lauffeuer. Andere Gewerkschaften haben angekündigt, Equal Pay in Branchen mit weitaus höheren Leiharbeiterquoten anzustreben. Doch das wird nicht einfach sein. Zudem lohnt sich ein genauer Blick auf den Abschluss.

Der zeige, lobte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach, dass die Gewerkschaften „keine Beschäftigungsverhältnisse zweiter Klasse mehr dulden“ wollten. Tatsächlich? Vereinbart wurde zwar, dass Leiharbeiter in der Stahlindustrie künftig den gleichen Stundenlohn erhalten wie ihre fest angestellten Kollegen. Das 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld wurden jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie alle übertariflichen Zulagen, die einzelne Betriebe zahlen. Leiharbeiter werden also weiterhin schlechter bezahlt – um bis zu 20 Prozent.

Tarifliche Regelungen, die „echtes“ Equal Pay festschreiben, bleiben weiter eine gewerkschaftliche Herausforderung. Über zwei Drittel der Leiharbeiter hierzulande arbeiten zu Niedriglöhnen. Die Zeitarbeitsbranche ist mit knapp 12 Prozent der Sektor mit den meisten Hartz-IV-Aufstockern. Und Leiharbeit boomt. Eine aktuelle Umfrage der IG Metall unter Betriebsräten belegt, dass die Betriebe der Branche ihren zusätzlichen Arbeitskräftebedarf zu 85 Prozent mit prekärer Beschäftigung befriedigen.

Rekordniveau überschritten

Von den 2010 neu entstandenen Stellen entfällt mehr als die Hälfte auf die Zeitarbeitsbranche. Das Rekordniveau von 2008, als 823.000 Leiharbeiter gezählt wurden, ist heute – trotz krisenbedingten Einbruchs im vergangenen Jahr – bereits übertroffen. Anders als oft behauptet ist Leiharbeit auch kein Sprungbrett in die Festanstellung: Nur sieben Prozent schaffen den Sprung in einen regulären Job.

Die von Ursula von der Leyen (CDU) vorgelegte „Lex Schlecker“ wird an diesen Verhältnissen kaum etwas ändern. Sie schützt nur jene Beschäftigten, die in betriebseigene Leiharbeitsfirmen ausgelagert wurden und von dort aus zu Dumpinglöhnen wieder im eigenen Betrieb arbeiten. Andere Missbrauchsmöglichkeiten im rot-grünen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz von 2003 bleiben unangetastet. Equal Pay sieht der Gesetzentwurf der Bundesarbeitsministerin ausdrücklich nicht vor. „Die Unternehmen, die sich mit Leiharbeit ein zweites, niedrigeres Entlohnungsniveau schaffen wollen“, beklagt die IG Metall, „können munter weitermachen.“

Einen Lichtblick gibt es indes: Viele Leiharbeiter bekommen Dumpinglöhne, die von der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften (CGZP) mit Zeitarbeitgebern vereinbart wurden. Im Dezember entscheidet das Bundesarbeitsgericht über deren Tariffähigkeit – Vorinstanzen hatten diese den vier Nicht-DGB-Gewerkschaften abgesprochen. Sollten die Erfurter Richter dies bestätigen, sind CGZP-Verträge unwirksam. Die Beschäftigten, die nach diesem Tarif bezahlt werden, hätten sogar rückwirkenden Anspruch auf Equal Pay.

Der Konflikt zwischen dem DGB und „gelben Gewerkschaften“ betrifft auch den lange umkämpften Mindestlohn in der Branche. Mit der nun avisierten Fusion von zwei Arbeitgeberverbänden zeichnet sich in dieser Frage allerdings eine Lösung ab – und damit eine gesetzliche Lohnuntergrenze für Zeitarbeiter auf dem DGB-Niveau.

Das jedoch liegt nicht nur deutlich unter dem politisch diskutierten generellen Mindestlohn von 8,50 Euro, sondern auch abseits des gewerkschaftlichen Weges zu „gleichem Lohn für gleiche Arbeit“.

Die Verleiher halten von Equal Pay jedenfalls nichts: Man sei, reagierte der Bundesverband Zeitarbeit auf den Stahl-Abschluss gereizt, „generell“ gegen dieses Prinzip.

Karin Flothmann ist freie Autorin in Berlin

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