Die schönste Jahreszeit im Irak ist der Frühling. Die Luft ist klar, es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt. Wenn man Glück hat, regnet es, im gebirgigen, kühlen Norden. Es ist die Zeit des islamischen Neujahrs und, wie die Kurden im Norden und die Perser, feiern die Iraker am 21. März das traditionelle Neujahrsfest, Newroz. Es ist sogar ein offizieller Feiertag.
In diesem Jahr kam mit dem Frühlingsbeginn Tod und Zerstörung über den Irak. Seit dem 20. März regnete es nicht das ersehnte Wasser, sondern Bomben vom Himmel. Über Blumen, Büsche und Bäume, die noch am Tag zuvor in kräftig bunter Blüte standen, legte sich ein grauer Schleier aus Rauch und Staub, das frische Grün verbrannte in der Feuersbrunst, wurde verschüttet von einstürzenden Hauswänden. B52-Bomber warfen ihre tödliche Fracht über den saftig grünen Feldern bei Mossul und Kirkuk ab.
Vor dem Krieg war den irakischen Exilkurden in Deutschland kaum nach Frühling zumute. Mancherorts, wie in Schwerin, wurden die Neujahrsfeiern sogar abgesagt. »Aus Protest und Sorge« um ihre Familien im Nordirak, so die Begründung. Doch es war nicht die Angst vor Krieg und Bombenterror, wie ihn Millionen Menschen im Irak erleben mussten, die Kurden waren, wieder einmal, in Angst vor dem »irakischen Regime«. Das habe angekündigt, »unmittelbar nach dem Angriff der Amerikaner die kurdischen Städte im Nordirak verwüsten« zu wollen, so Massoud Siany, der den kurdischen Verein in Schwerin leitet. Dennoch, größer als die Angst war »die Hoffnung auf eine schnelle Beseitigung des irakischen Regimes«.
Viele in Deutschland lebende Kurden aus dem Nordirak unterstützten von Anfang an die britisch-amerikanische Invasion des Irak. An der Seite der Amerikaner wollten sie dieses Mal auf Nummer sicher gehen und zu den Siegern gehören. Schon im Oktober letzten Jahres hatten nordirakische Kurden aus ihrer Meinung keinen Hehl gemacht. Der seit vielen Jahren in Deutschland lebende kurdische Schriftsteller Fadel Ahmed wünschte damals stellvertretend für viele Kurden »Bomben auf Bagdad«.
Dennoch hat der neue Krieg gegen den Irak die Kurden gespalten. Während die politische Entscheidung der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), mit den Amerikanern und Briten in den Krieg zu ziehen, von der Exilgemeinde der irakischen Kurden in Deutschland unterstützt wird, sind Kurden aus der Türkei und dem Iran ganz anderer Meinung.
Das Kurdische Frauenbüro für Frieden in Düsseldorf lehnte schon lange vor Beginn des Krieges eine militärische Intervention im Irak ab. Anders als kurdische Frauenorganisationen aus dem Nordirak unterstützten sie die Position der Partei der Freien Frau (PJA), die aus Guerillakämpferinnen der früheren Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgegangen ist. In einer Erklärung hieß es: »Erstes Ziel (der US-Invasion) ist der Irak.« Doch die USA habe die gesamte Region im Visier. Ohne die »menschenrechtlichen Verbrechen von Diktator Saddam Hussein« verharmlosen zu wollen, stellten die Frauen fest, Saddam sei »nur ein Vorwand für die angebliche Befreiung des irakischen Volkes«. Es sei auch ein Angriff auf »die Jahrtausende alte Kultur des historischen Mesopotamien«.
Auch die Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland (Yek-Kom), die nach eigener Aussage 65 kurdische Vereine vertritt, engagierte sich gegen den Krieg. Sie mobilisierte Zehntausende Kurden, vor allem aus dem türkischen Teil Kurdistans, zu einer zentralen Demonstration nach Frankfurt, unter dem Motto »Gegen den Irak-Krieg, für Frieden, Freiheit und die Anerkennung der kurdischen Kultur«. Mit dem Aufmarsch türkischer Truppen in ihrer Heimat haben die Kurden im Südosten der Türkei die mit dem Krieg einhergehende Repression zu spüren bekommen. Obwohl der militärische Ausnahmezustand aufgehoben ist, häuften sich wieder Razzien und Festnahmen. Kurz vor dem kurdischen Neujahrsfest wurde die Demokratiepartei des Volkes, HADEP, gewählt von fast 50 Prozent der kurdischen Bevölkerung, verboten.
Auch Ibrahim Alizadeh, Kurde aus dem Iran und Generalsekretär der kurdisch-iranischen Komalah (KP Iran) lehnt den Krieg entschieden ab und übt scharfe Kritik an PUK und KDP: »Die beiden kurdischen Parteien im Nordirak haben ihr Schicksal mit der Strategie der USA im Irak verknüpft. Damit haben sie die Sympathie von Millionen Menschen auf der ganzen Welt verloren.« Er befürchtet, dass die gesamte Region in ihrer Entwicklung um Jahre zurückgeworfen wird.
Anders als den hoch politisierten Kurden aus der Türkei und dem Iran, gelingt es den Kurden aus dem Nordirak nicht, einen weitergehenden politischen Blick auf die Gefahren des neuen Krieges zu werfen. Die im Exil Lebenden sind noch Jahre nach ihrer Flucht gefangen in den Schrecken, denen sie oder ihre Familien in den letzten zwanzig Jahren ausgeliefert waren. Politische Ohnmacht und die traumatische Erfahrung, immer wieder verraten zu werden, haben bei den nordirakischen Kurden tiefes Misstrauen hinterlassen. Mitgefühl für die übrige Bevölkerung des Irak, die unter den Schrecken der vergangenen Kriege ebenso zu leiden hatten, scheint ihnen fremd, die Vorstellung einer innerirakischen Versöhnung ausgeschlossen.
Nicht alle werden dabei so drastisch, wie Ahmed Berwari, Vertreter der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) in Berlin, der zu den bekanntesten kurdischen Kriegsbefürwortern zählt. In einem Interview kurz nach Beginn des Krieges erklärte Berwari, es gäbe unter den in Deutschland lebenden irakischen Kurden »keine Pazifisten«. Folgerichtig kritisierte er auch die bundesdeutsche Friedensbewegung, die »zu wenig Saddam kritisiert« und letztlich »antiamerikanisch« sei. Diese Kritik teilen die meisten nordirakischen Kurden, die in Interviews, Talkshows oder auf Podien derzeit zu Wort kommen.
Doch trotz des offiziellen Kriegskurses ihrer politischen Führer - die nordirakischen Kurden waren und sind innerlich gespalten. So sehr sie einen Sturz von Saddam Hussein begrüßten, so sehr fürchteten sie auch den Krieg, selbst wenn er ihnen neue Freiheiten verspricht. Ob die aber respektiert werden, ist mehr als fraglich. »Wir haben große Angst, dass türkische Einheiten einmarschieren und unsere Selbstverwaltung zerstören,« sagte der kurdische Journalist Ahmed Kamal, der in Nürnberg lebt. »Nach dem Sturz Saddams wollen wir uns an einem demokratischen, föderativen System im Irak beteiligen,« meinte er und vertraut auf die Vereinbarungen, die die nordirakischen Kurdenführer von KDP und PUK, Barzani und Talabani, unter amerikanischer Aufsicht in London mit der irakischen Opposition getroffen haben. Doch ob die Londoner Vereinbarungen jemals Bestand haben werden, ist heute fraglicher denn je.
Inzwischen weiß man, der irakische Angriff auf die Kurden blieb aus, die Armee ist zerfallen. Über das verbrannte Land, das die B52-Bombenteppiche hinterließen, marschierten die kurdischen Peschmerga ungehindert bis Mossul und Kirkuk. Plünderungen und Feuergefechte werden gemeldet, bei einem Angriff der Peschmerga auf ein turkmenisches Büro in Kirkuk soll ein achtjähriges Kind getötet worden sein.
Ibrahim Alizadeh von der iranisch-kurdischen Komalah befürchtet als Folge des Krieges eine Spaltung der irakischen Gesellschaft. »Die Bevölkerung im Nordirak wird keinen Gewinn aus dem Krieg ziehen, das Ganze wird tiefe Narben hinterlassen,« sagt er. In Zukunft müssten die Menschen im Irak miteinander leben, doch »wie soll diese Gesellschaft funktionieren, wenn jetzt schon die überlegene Macht, also die Amerikaner, von Schiiten, Turkmenen, Kurden und Arabern sprechen, obwohl alle in diesem Land leben und ihnen allen dieses Land gehört. Die Spaltung ist programmiert.«
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