Der dritte Mann

Blind Copy Mindestens 500 bis 1.000 Kinder werden in Deutschland jährlich per Insemination gezeugt. Doch das Thema Samenspende bleibt ein Vakuum in der juristischen und gesellschaftlichen Diskussion

Eine gläserne Fassade zwischen Friedrichstraße und Gendarmenmarkt. Auf die hier ansässige Berliner Samenbank fehlt allerdings jeder Hinweis. Nur ein diskretes Schild mit der Aufschrift Fertilitätsklinik weist potenziellen Spendern den Weg in den dritten Stock.

Wie viele Samenspender es in Deutschland gibt, weiß niemand. 500 bis 1.000 Kinder, so die offiziellen Angaben, werden jedes Jahr in Deutschland mit Spendersamen gezeugt. Schätzungen darüber, wie viele Frauen per Selbstinsemination schwanger werden, nachdem sie sich Sperma von privaten Spendern oder ausländischen Samenbanken besorgt haben, gibt es - naturgemäß - nicht. Dafür wankt die öffentliche Wahrnehmung bedrohlich zwischen Hysterie und Totschweigen. So sorgte ein Spiegel-Artikel über via Internet bestelltes "Sperma für die Heimwerkerin" im letzten Herbst für ein gerütteltes Maß medialer Empörung. Als Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wenig später in einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität für ein gesetzliches Verbot der anonymen Samenspende eintrat und dabei auch die hiesigen Ärzte ins Visier nahm, ging sie mit dieser Forderung dagegen völlig unter. Stattdessen entspann sich eine leidenschaftlich kontroverse Diskussion um das Für und Wider der Menschenwürde der frisch verschmolzenen Ei- und Samenzelle in der Petrischale. Seitdem herrscht Funkstille.

Diese Reaktion ist symptomatisch. Für die quasi unangefochtene Stellung der Reproduktionsmediziner in Sachen Spendersamen, aber auch für die merkwürdig oszillierende Zwitterstellung, mit der das Verfahren hierzulande gehandhabt wird: Oft wissen nicht einmal Frauenärzte, ob und wie die Befruchtung mit Spendersamen in Deutschland eigentlich geregelt ist - obwohl sie seit Jahrzehnten praktiziert wird.

Die guten Sitten

Wer ist der Vater? In den fünfziger Jahren, als in der Bundesrepublik mit der donogenen Insemination begonnen wurde, beunruhigte diese Frage durchaus die Gemüter. Der Deutsche Ärztetag erklärte die Anwendung der Methode sogar für "standesunwürdig". Doch die Insemination mit Spendersamen war, medizinisch betrachtet, ein äußerst simples Verfahren. Verlässliche Vaterschaftstests gab es nicht, die Behandlung strebten ohnehin nur verheiratete Paare an, und da als Vater qua Bürgerlichem Gesetzbuch automatisch der Ehemann der Frau galt (und gilt), die das Kind geboren hatte, wurde den Eltern schlichtweg nahe gelegt, das Geheimnis der außerehelichen Zeugung für sich zu behalten. Was sie aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung ohnedies taten. Noch 1973, dem Jahr, in dem der Deutsche Ärztetag die Methode schließlich offiziell vom Makel des Standesunwürdigen befreite, warnte der Frankfurter Arzt Georg Sillo-Seidl eindringlich vor den Konsequenzen. Die Väter solcher Kinder seien schließlich "Stiefväter", die daraus resultierenden Konflikte könnten gut und gerne "bei Mord enden".

Die Reproduktionsmediziner setzten in den folgenden Jahrzehnten alles daran, die Insemination mit Spendersamen zugunsten anderer Behandlungsformen zurückzudrängen. So wurde insbesondere mit der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) eine Möglichkeit geschaffen, auch eigentlich sterilen Männern zum genetisch eigenen Nachwuchs zu verhelfen - und sei es um den Preis der körperlich sehr viel belastenderen In-vitro-Fertilisation (IVF) bei ihren keineswegs unfruchtbaren Frauen.

Verfolgten die Mediziner also primär das Ziel, die potenziellen sozialen Väter zu biologischen - und damit "vollwertigen Vätern" - zu machen, so gingen die Juristen den komplementären Weg. 1986 befasste sich der 56. Deutsche Juristentag mit dem Thema und entschied, das Einverständnis der künftigen sozialen Eltern müsse notariell beurkundet werden, dann verstoße eine Behandlung mit Spendersamen weder gegen die Menschenwürde noch gegen die guten Sitten. Erst 2002 kam mit dem Kinderrechteverbesserungsgesetz die erste gesetzliche Regelung. Danach können Eltern, die ihre Einwilligung zur künstlichen Befruchtung gegeben haben, die Vaterschaft, die der soziale Vater annimmt, nicht mehr nachträglich anfechten. Auch nicht im Fall der Trennung - ein entscheidender Vorteil, insbesondere für die Samenspender und die beteiligten Reproduktionsmediziner. Da es vor dem Gesetz nur einen Vater geben kann, waren sie nun von der drängenden Sorge um Unterhalts- und Schadensersatzansprüche befreit. Heterosexuelle Paare haben es seitdem deutlich leichter, einen Arzt zu finden, der ihren Kinderwunsch per Spendersamen erfüllt.

Ab 200 Euro aufwärts

Anders sieht es bei lesbischen Paaren und allein stehenden Frauen aus. Welche Frau von einem Arzt inseminiert werden darf und welche nicht, entscheiden nämlich - mangels gesetzlicher Regelungen - bis heute die Mediziner, und zwar nach standesrechtlichen Vorgaben. Dass es dennoch mittlerweile immer mehr Ärzte gibt, die auch allein stehenden und lesbischen Frauen zum Kinderglück verhelfen, dürfte wenig mit Großmut oder gleichstellungspolitischen Erwägungen zu tun haben. Frauen mit Kinderwunsch, aber ohne Mann, sind eine Zielgruppe, die wächst. Und da die Insemination mit Spendersamen - auch dies ein Hinweis auf ihre merkwürdige Zwitterstellung - im Gegensatz zu allen anderen erlaubten Formen medizinisch assistierter Fortpflanzung seit jeher keine Kassenleistung ist, zahlen die Betreffenden selbst. In der Praxisklinik für Fertilität am Berliner Gendarmenmarkt etwa sind das ab 200,- Euro aufwärts pro Behandlungszyklus. Wobei in fast allen Fällen mehrere Behandlungen nötig sind, weil die Erfolgsrate ohne medikamentöse Unterstützung durchschnittlich bei unter zehn Prozent pro Zyklus liegt.

Was die Gesellschaft nicht regelt, regelt der Markt. So führt die mangelnde Bereitschaft, öffentlich auszuhandeln, ob ein Kind nun einen, zwei oder keinen Vater braucht, zu einer reproduktionsmedizinischen Klassengesellschaft. An ihrer Spitze stehen gut betuchte Heteropaare, gefolgt von lesbischen Paaren und allein stehenden Frauen, die sich ihr Wunschkind auch ohne Mann leisten können und wollen. Am unteren Ende finden sich neben den Mittellosen oder schlecht Informierten paradoxer Weise auch die Männer.

So muss, wer die entsprechenden Internetforen zum Thema besucht, verblüfft feststellen, dass das Angebot die Nachfrage an Samenspendern mittlerweile deutlich übersteigt. Geradezu manisch dienen manche Männer befruchtungswilligen Frauen dort ihr Sperma an. Sexuelle Motive spielen dabei, zumindest vorgeblich, nur am Rande eine Rolle, viele schließen Sex explizit aus ("Bechermethode"). Wie ernst diese Offerten gemeint sind, die von der bloßen Bereitstellung des Spermas bei beiderseitiger Anonymität (in der überwiegenden Zahl der Fälle) bis zu regelmäßigen Kontaktwünschen mit dem Kind und der Bereitschaft zu Unterhaltszahlungen reichen, ist freilich schwierig zu sagen. Wie oft sie zum gewünschten Erfolg führen, ebenfalls.

Das unbekannte Wesen

Überhaupt sind Samenspender der dark continent der Insemination. In den Kliniken kennt lediglich der Arzt ihre Identität und ist - zumindest theoretisch - verpflichtet, den Nachkommen Auskunft zu erteilen. Doch während Frauen etwa bei der Sperm Bank of California anhand ausführlicher Fragebögen entscheiden können, ob sie lieber einen polyglotten Atheisten oder einen sportlichen Ingenieur zum genetischen Erzeuger ihres Kindes machen wollen, entscheiden in Deutschland allein die Ärzte. Die Kriterien sind, glaubt man den Richtlinien des Arbeitskreises Donogene Insemination, rein gesundheitlicher Natur. Nur Haarfarbe, Augenfarbe und Größe des ausgewählten Spenders sollen in etwa der der künftigen Eltern entsprechen.

Der Samenspender, das unbekannte Wesen. Das gilt auch für die Wissenschaft. Denn obwohl in Deutschland, offiziellen Schätzungen zufolge, in den letzten fünf Jahrzehnten 50.000 bis 70.000 Kinder per Fremdsamen-Insemination gezeugt wurden, gibt es bis heute keine einzige deutsche Studie, die sich mit den Motiven der Spender befasst. Was treibt so einen Mann, einer fremden Frau zu einem Kind zu verhelfen, von dem er in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht einmal wissen wird, dass es existiert? Schierer Altruismus? Die nackte Not?

Vielleicht geht es den meisten Samenspendern tatsächlich in erster Linie um die eher bescheidene Aufwandsentschädigung, wie der Berliner Reproduktionsmediziner Dr. Peet vermutet. Vielleicht folgen sie aber auch unbeirrbar einem uralten evolutionsbiologischen Reflex, mehr Kopien der eigenen Gene in die nächste Generation zu tragen als ihre Konkurrenten. Jenseits öffentlicher Diskussionen und frei von alltäglichen Pflichten. Heimliche Väter sozusagen.


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