Sie sind Anfang, Mitte dreißig; klug, ehrgeizig und erfolgreich. Und sie mussten immer ein bisschen besser sein als andere: Cigdem Deniz Sert hat ein Auslandssemester in der Türkei studiert und heute ihre eigene Anwaltskanzlei in Bochum, Eylem Yesil* ist Informatikerin und will demnächst ein Jurastudium beginnen, Sidar Demirdögen wird Journalistin, sie hat vor ein paar Monaten bei den Europawahlen kandidiert und ihren Abschluss in Germanistik und Politologie mit einem Schnitt von 1,9 gemacht.
Die drei gehören zur wachsenden Gruppe gut ausgebildeter junger Frauen aus Einwandererfamilien in Deutschland. Man kann sie sich gut zusammen auf einem Werbeplakat für eine Integrationskampagne der Bundesregierung vorstellen. Fragt man sie allerdings, wie sie es so weit gebracht haben, erhält man durchweg dieselbe Antwort: Ihre wichtigste Unterstützung, so berichten alle drei, hätten sie von zu Hause erhalten. Nicht von staatlicher Seite. Obwohl ihr Vater selbst nie eine Schule besucht habe und ihr nicht viel helfen konnte, erzählt Eylem Yesil, habe er großen Wert darauf gelegt, dass seine Tochter eine gute Schulbildung bekomme: „Das war ihm wichtiger als bei meinen Brüdern.“
Unterstützung aus der Familie
Sidar Demirdögen vermutet, dass sie es ohne ihre Mutter wohl nicht geschafft hätte: „Obwohl sie kaum Deutsch sprach, hat sie abends mit uns Diktate geübt und uns immer wieder ermutigt.“ Aus dem schulischen Bildungsangebot bekamen die jungen Frauen dagegen wenig Unterstützung: Intensivkurse in der Landessprache, an kanadischen und skandinavischen Schulen längst selbstverständlich, gab – und gibt – es in Deutschland nicht, ebenso fehlt es an fundierten Informationen über das deutsche Schul- und Ausbildungssystem für ausländische Eltern. „Viele meiner Freundinnen sind in der Sonderschule gelandet“, berichtet Sidar Demirdögen, „weil ihren Eltern gesagt wurde, das sei für sie die beste Schulform.“
Auch wenn Deniz, Eylem und Sidar zu den Bildungsgewinnerinnen gehören – der Verzicht auf eine gezielte Förderung von Migrantenkindern durch den Staat hat gravierende Folgen für die Betroffenen und für die Gesellschaft. Das verdeutlichen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Danach verließ 2007 jeder sechste ausländische Schüler das Schulsystem ohne Abschluss. 42 Prozent erwarben den mittlerweile weitgehend wertlosen Hauptschulabschluss, ein knappes Drittel absolvierte die Realschule, nur jeder Elfte schaffte das Abitur. Auch unter den Ausländern erzielen die Mädchen tendenziell etwas bessere Ergebnisse als Jungen. Trotzdem gehen sie bei der Lehrstellensuche noch häufiger als diese leer aus.
Nach dem jüngsten Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hatte 2007 nur rund ein Fünftel der ausländischen Mädchen im ausbildungsfähigen Alter eine Lehrstelle, bei den Jungen war es jeder Vierte. Zum Vergleich: Von den deutschen Mädchen macht fast die Hälfte eine Ausbildung im dualen System, bei den einheimischen Jungen sind es knapp siebzig Prozent. Ein Skandal, doch öffentliche Empörung hört man dazu kaum. Vielleicht weil insgeheim davon ausgegangen wird, dass Migrantinnen ohnehin am liebsten Hausfrau und Mutter sein wollen?
Das ist ein weit verbreitetes Vorurteil – und es ist falsch, weiß Mona Granato. Die Soziologin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am BIBB und forscht seit vielen Jahren zum Thema berufliche Ausbildung. 2006 hat das Institut 1.500 Schulabgänger zu ihren beruflichen Plänen befragt. Das Ergebnis: Zweidrittel der Mädchen aus Einwandererfamilien möchten nach der Schule oder zu einem späteren Zeitpunkt eine Lehre machen – genauso häufig wie Schulabgängerinnen ohne migrantischen Hintergrund. Dass sie dennoch sehr viel seltener erfolgreich sind, führt Mona Granato vor allem auf Vorurteile der Arbeitgeber zurück und darauf, dass junge Migrantinnen mit den oft besser qualifizierten einheimischen Mädchen konkurrieren müssen. „Mädchen mit Migrationshintergrund erhalten oft die Restplätze im Ausbildungssystem, vor allem in sogenannten Sackgassenberufen mit niedrigen Einkommen, einer hohen Arbeitszeitbelastung und geringen Aufstiegsmöglichkeiten“, kritisiert sie. So machte 2002 über die Hälfte der jungen Ausländerinnen in nur vier Ausbildungsberufen eine Lehre: als Friseurin, Verkäuferin, Arzt- oder Zahnarzthelferin. Nicht unbedingt aus freien Stücken, wie Granato betont: „Die jungen Frauen bewerben sich letztlich auf die Berufe, von denen sie denken, dass sie dort eine Chance haben.“
Blindes Auswahlverfahren
Migranten haben auch bei gleichen Schulabschlüssen wie Einheimische die schlechteren Karten. Die Wissenschaftler des BIBB haben herausgefunden, dass über die Hälfte der einheimischen Bewerber mit Realschulabschluss eine Lehrstelle findet, bei den Migranten ist es nur gut ein Drittel. Um deren Chancen zu erhöhen, plädiert die Soziologin Granato für ein „blindes“ Auswahlverfahren nach Schweizer Vorbild: Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, konnten sich dort in einem Pilotprojekt des Schweizer Kaufmännischen Verbandes mit ihrem Bewerbungsprofil, aber ohne Namen und Foto in einer Internet-Datenbank vorstellen. Auf diese Weise erhöhte sich für ausländische Jugendliche die Chance, überhaupt ins Auswahlverfahren zu kommen. Ein erster Schritt, von dem ausländische Mädchen möglicherweise doppelt profitieren könnten, wenn neben der Herkunft auch das Geschlecht unerwähnt bliebe.
Ebenso wichtig scheint es, die besonderen Fähigkeiten, Potenziale und das Engagement von Migranten wahrzunehmen und wertzuschätzen. Wie wenig dies bislang gelingt, mag die für Deutschland völlig untypische Karriere von Eylem Yesil beleuchten. Die Informatikerin kam als 13-Jährige mit ihren Eltern aus der Türkei nach Rüsselsheim, besuchte zunächst die Hauptschule, anschließend einen Berufsvorbereitungskurs, jobbte, während sie in der Abendschule erst den Realschulabschluss und später das Abitur nachholte. Schließlich studierte sie und arbeitete mehrere Jahre bei einer Bank. Ob je einer ihrer Arbeitgeber ihr außergewöhnliches Durchhaltevermögen positiv erwähnt habe, möchte ich wissen. Powerfrau Yesil seufzt. „Wenn Personalchefs sich meinen Werdegang angucken, dann werde ich eigentlich nur gefragt: Wieso haben Sie erst mit 25 Jahren angefangen zu studieren?“
Beim Bewerbungsgespräch sei sie gefragt worden, wie eigentlich ihr Mann zu ihrer Berufstätigkeit stehe. Ob er sie im Auto hergebracht habe oder ob er draußen auf sie warte. Bis Migrantinnen in diesem Land beruflich gleiche Chancen eingeräumt werden, ist es offenbar noch ein weiter Weg.
* Name von der Redaktion geändert
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