Es war zu erwarten. Kaum stehen Wahlen bevor, stellt irgendjemand Spekulationen über mögliche schwarz-grüne Koalitionen an. Bei früheren Gelegenheiten waren es aus einschlägigem Interesse nordrhein-westfälische Landespolitiker, die über die Vereinbarkeit der beiden politischen Richtungen räsonierten. Jetzt ist es, und das macht es zum Spektakel, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber, der öffentlich das besonders für seine eigenen Parteimitglieder bisher Undenkbare äußerte.
Das Thema schwarz-grün wird uns erhalten bleiben. Nicht nur aus kurzfristigen taktischen Gründen, zur Disziplinierung des politischen Partners, wird es immer wieder auftauchen. Es gibt auch Überzeugungstäter, die sich mit der strategischen Zukunft einer schwarz-grünen Konstellation beschäftigen, vornehmlich in konservativen Zeitungsredaktionen. In einer früheren Runde dieses Diskurses öffnete zum Beispiel die FAZ eine strategische Debatte über mehrere Folgen. Was daraus deutlich wurde, war allerdings weniger die Zukunft eines schwarz-grünen Projektes, als der erbärmliche Zustand der politischen Diskussion in Deutschland. Die FAZ etwa versuchte, den Grünen die SPD madig zu machen. Deren "Gestaltungsentschlossenheit" hätte für Grüne schon immer suspekt sein müssen. "Sozialdemokraten wollen nicht bewahren, sondern verändern." Zu dieser Erkenntnis gelangte der Autor Hans D. Barbier durch die Kenntnis der Philosophie, zum Beispiel von Marxens Feuerbachthesen. Dagegen hatte er die ersten Seiten jener Zeitung, in der er seine Einsichten verkündete, schon lange nicht mehr gelesen. Dort war den Sozialdemokraten bereits seit Jahren exakt jenes abgesprochen worden: Gestaltungsentschlossenheit, Veränderungswille. Besitzstandswahrer, unbeweglicher Tanker, lauteten die Vorwürfe. Das taugte aber nicht für die Diskussion um schwarz-grüne Grundsatzübereinstimmungen.
Wo so umstandslos die Gegenwart der SPD mit der Vergangenheit identifiziert wird, da könnte auch Olaf Scholz als Vollstrecker des Kommunistischen Manifests durchgehen. Die CDU ist in der FAZ die Partei mit den Ewigkeitswerten. Ihre Protagonisten fragen ihrer Meinung nach ständig: "Was haben wir heute zu tun und zu lassen, um am letzten Tag alles Zeitlichen für die Teilhabe an einer guten Ewigkeit erwählt zu werden?" Ein ergreifendes Bild: die CDU-Bundestagsfraktion bei dem steten Bemühen, den Ladenschluss unter dem Blickwinkel der letzten Tage zu gestalten. Aber der Autor wusste: gerade die christlichen Werte erlauben der Union solch pragmatische Wanderung zwischen großen Worten und kleinen Taten. Die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird selbst zu einer Qualität des politischen Geschäfts.
Ein weiterer Kronzeuge für die Machbarkeit des schwarz-grünen Projekts war der ehemalige Grünen-Haushaltsexperte Oswald Metzger. CDU und Grüne verbinde eine gemeinsame Grundüberzeugung, schrieb er, der "Wunsch nach einem langfristig tragfähigen Lebensstil der Gattung Mensch in unserer einen Welt". Der Gründungsmythos von Bündnis90/Die Grünen, wonach wir unsere Welt von unseren Kindern nur geliehen haben, entspreche genau dem christlichen Memento "die Schöpfung bewahren". Darauf sollte die Wertegemeinschaft zwischen schwarz und grün gebaut werden, so Metzger. Solche Erkenntnisse wird alle diejenigen in den grünen Basisbewegungen überraschen, die in den vergangenen Jahrzehnten bei ihren Protesten gegen Atomkraftwerke, Autobahnen und andere Industrialisierungsfolgen bei den Christdemokraten nicht so sehr die Sorge um die Schöpfung, dafür umso mehr den Primat der Ökonomie zu spüren bekamen, manchmal in Gestalt von Polizeiknüppeln. Wyhl, Wackersdorf, Gorleben, um nur ein paar Namen zu nennen, in denen CDU/CSU-Landesregierungen ihre Werteskala gegen die grüne Gründergeneration durchsetzten. Die Schöpfung wahren zu wollen, das war eine Forderung religiös gestimmter Umweltschützer - und zwar gegen die CDU. Damit grüne und schwarze Werte übereinstimmen, findet bei Metzger erst einmal eine Umwertung statt. Damit aus der Geschichte eine strategische Partnerschaft erwächst, muss die Geschichte erst einmal verbogen werden.
Wenn die CDU wäre, was Metzger ihr unterstellt, dann gäbe es die Grünen überhaupt nicht. Wenn es im Industrialisierungsprozess der alten Bundesrepublik eine starke politische Kraft gegeben hätte, die sich nicht nur in Sachen Abtreibung als Wahrerin der Schöpfung verstanden hätte, dann wären die Grünen nie entstanden. Und Metzger wäre nicht ihr Haushaltsexperte geworden. Es kann sein, das eines Tages eine Koalition aus Grünen und CDU eine sinnvolle politische Konstellation wäre. In Köln haben das beide so gesehen, ebenso in anderen Städten und Landgemeinden. Den Handelnden dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach die Metzgersche strategische Wertegemeinschaft gleichgültig gewesen sein. Ihnen ging es um Gemeinsamkeiten in einem bestimmten, abgegrenzten Themenkatalog. Dazu brauchten sie keine religiöse, auch keine philosophische Überhöhung.
Aber selbst da, wo die Gegensätze bei den politischen Akteuren eingeebnet werden, bleiben schwarz-grüne Gemeinsamkeiten eine vorläufige Erfindung. Auch wenn sich über politische Themen Einigkeit erzielen ließe, trennen die Milieus noch immer Welten. Für das schlichte CDU-Mitglied sind die Grünen noch immer Spinner mit dem Ruch der Staatsfeindschaft. Umgekehrt fühlen sich die wenigsten Grünen heimisch im Dunstkreis von Schützenfesten und Handwerkerinnungen. Die gegenseitige Abneigung gehört zum Selbstverständnis.
Ganz sicher sind auch die neuen Spekulationen um Koalitionen zwischen CDU und Grünen nicht die letzten. Wie das Ungeheuer von Loch Ness wird das Thema wieder auftauchen. Aber es wird noch eine lange Zeit dauern, bis es erst gemeint ist. Bis dahin bleibt die Hoffnung, dass wenigstens der Diskurs darüber mehr Substanz erhält als in der Vergangenheit.
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