"Ab heute nennst du mich Vater!" Der faschistische Captain Vidal (Sergi Lopez) ist überzeugt davon, solche Kleinigkeiten einfach anordnen zu können. Er selbst wird die kleine Ofélia (Ivana Baquero) allerdings nie als seine Tochter betrachten. Sie ist ihm bestenfalls egal und eher sogar ein bisschen lästig. Vidal hat Ofélia und ihre Mutter den Umzug in eine verlassene Mühle mitten in den Bergen befohlen, einem Stützpunkt der faschistischen Armee, die von hier aus gegen die im Wald versteckten Partisanen vorgehen will. Ofélias leiblicher Vater ist tot, ihre Mutter hat soeben wieder geheiratet, nicht aus Liebe, sondern um zu überleben. Vidal will seine Frau jetzt bei sich haben, denn sie ist schwanger. Und wenn Vidal ruft, kommt man besser - oder träumt sich weit fort, in eine andere Welt.
Pans Labyrinth spielt im Jahr 1940: Der spanische Bürgerkrieg gilt offiziell als beendet, doch die nationalistische Armee verfolgt die restlichen Partisanengruppen immer noch bis aufs Blut. Die verlassene Mühle, in den Augen des Mädchens ein magischer, märchenhafter Ort, dient ihnen als Basis für Vergeltungsaktionen. Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro macht in seinem Film aus dieser Mühle ein Gefängnis, einen Ort, an dem der Faschismus mit eiserner Faust regiert und Körper und Geist knechtet. Die kleine Ofélia hat da nicht viel mehr als ihre Bücher und Märchen. Sie ist das einzige Kind in dieser harten Erwachsenenwelt. Was bleibt ihr da anderes übrig, als sich in eine Traumwelt zu flüchten, in der es noch Feen und gute Geister gibt? Die weisen ihr bald den Weg zu einem unterirdischen Labyrinth. Dort herrscht Pan, ein Faun mit Beinen wie Bäume und Ziegenhörnern auf dem Kopf. Sie sei die verlorene Tochter eines Feenkönigs, erzählt er dem sich in der Realität tatsächlich verstoßen fühlenden Mädchen. Aber wenn sie drei Aufgaben erfülle, dann dürfe sie zurück und wieder Feen-Prinzessin sein.
Traum und Realität, die Fluchtfantasien Ofélias und die grausame Realität des spanischen Faschismus kommen in diesem Film auf seltsame Art zusammen: Anders als der Zuschauer vielleicht erwartet, ist es keine schöne Welt, die sich Ofélia zusammenträumt, kein Ort voller Schmetterlinge und weißer Ritter. Ganz im Gegenteil: Die Schrecken der Realität kehren in verkleideter Gestalt in ihren Träumen wieder. Es ist, als lebten hier Goyas Geister in dunklen, ornamentbeladenen Verliesen fort. Der mexikanische Regisseur Del Toro entwirft ein Alptraum-Gemälde in erdigen, dunklen Farben, schön und schrecklich zugleich. Das eigentliche Monster des Films bleibt jedoch Captain Vidal, dessen einzigen Freude es ist, nachts an einer alten Uhr herumzubasteln. Und die schlimmsten Grausamkeiten finden in der Wirklichkeit statt, wenn Vidal Partisanen foltert oder ohne zu Zögern exekutiert.
Das Thema Spanischer Bürgerkrieg hat der Regisseur bereits in einem seiner früheren Filme mit der Welt des Übernatürlichen verbunden. In dem hochgelobten The Devil´s Backbone verfolgt ein Geist den Sohn eines republikanischen Kämpfers in einem Waisenhaus am Ende der Welt. Del Toro interessiert auch hier die Sicht des Kindes, das noch nicht begreifen kann, aber doch ein sicheres Gespür für richtig und falsch hat.
Faschismus - das sei für ihn vor allem eine Perversion der Unschuld, erklärte der Regisseur einmal. Wer mit dem Faschismus zu tun habe, der verliere über kurz oder lang seine Seele. Kinder kämpfen dagegen an mit ihrer Fantasie. Pans Labyrinth ist eine Weiterführung dieses Themas: Es gibt hier kaum noch Brüche zwischen Wirklichkeit und Imagination, zwischen Märchenplot und dem Fluss der äußeren Handlung. Ein Kameraschwenk, ein kurzer Zoom reichen, um alle Grenzen zu verwischen, um die Realität zu verzaubern oder die magische Welt wieder zurückzustoßen in die grausame, banale Wirklichkeit. Der Rückzug in die Fantasie mag keine adäquate Methode des Widerstands gegen den Faschismus sein, aber die Aufgaben und Prüfungen, denen sich Ofélia im Feenreich stellt, wirken als Bestärkung zurück in die Wirklichkeit, in der sie sich Vidal immer trotziger entgegensetzt.
Die Mühle ist voller Parteigänger und Opportunisten. Wirkliche Menschlichkeit gibt es nur noch im Verborgenen, in Form von huschenden Schatten in der Nacht, in geheimen Treffen und verschwörerischen Blicken. Die junge Haushälterin Mercedes (Maribel Verdú) hält Kontakt zu den Partisanen in den Bergen, die dringend Medikamente brauchen. Sie wird Ofélias einzige Freundin. Traue keinem Faun, ist der kluge Rat, den sie dem Mädchen gibt. Doch Pan ist ein mindestens so strenger und herrischer Gebieter wie Vidal. Er ist ein Verführer, eine ambivalente Figur.
Die Macht des freien Willens, darum geht es in diesem Märchenfilm für Erwachsene, geschrieben und kongenial inszeniert von einem Spezialisten für Horrorfilme und Superhelden-Geschichten, also für Film-Genres, die als trivial und unpolitisch gelten. Zu Unrecht, wie man bei Del Toro sehen kann. Auf einen einfachen Nenner brachte es einst sein Held in Hellboy, del Toros wunderbarer Adaption eines Dark Horse-Comics: Mensch zu sein, ist immer eine Entscheidung. Sich immer noch entscheiden zu können, ist demnach vielleicht die beste Waffe gegen den Faschismus, auch wenn Pans Labyrinth die Konsequenzen dieser Haltung auf sehr traurige und grausame Art illustriert.
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