Das Geschäft mit der Bildung

Wettbewerb geht vor Die EU-Dienstleistungsrichtlinie hebelt auf dem Markt von Schule, Studium und Beruf nationale Qualitätsstandards und Verbraucherrechte aus

Bildung ist ein Wachstumsmarkt, und deswegen, das müsse man verstehen, werde man ausgerechnet dieses Marktsegment nicht von dem großen Liberalisierungscoup der Bolkestein-Richtlinie ausnehmen. So warb der EU-Vertreter in Berlin, Gerhard Sabathil, um Verständnis bei den Bundestagsabgeordneten des Wissenschaftsausschusses. Denn bei den Bildungsexperten schrillen mittlerweile die Alarmglocken. Die Dienstleistungsrichtlinie, wie sie die EU-Kommission vorgelegt hat, sei "für den gesamten Bildungsbereich nicht tragbar" - zu diesem erstaunlich klaren Urteil kam die stellvertretende Generalsekretärin der Kultusministerkonferenz, Angelika Hüfner, vor demselben Ausschuss.

Die Dienstleistungsrichtlinie setzt eine Abwärtsspirale bei den Qualitätsstandards wie bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Gang. Allmählich entwickelt sich der internationale Handel mit der Dienstleistung "Bildung". Ausländische Hochschulen sind schon heute auf dem deutschen Markt aktiv. Niederländische und britische Hochschulen müssen sich ihr Geld selbst verdienen. Durch die Standardisierung der Abschlüsse nach den Bachelor- und Master-Muster öffnen sich ihnen ganz neue Möglichkeiten, über nationale Grenzen hinweg zu operieren und ihre Degrees europaweit zu verticken. Mittlerweile gibt es rund 100 "Corporate Universities", das sind firmeneigene Weiterbildungseinrichtungen mit Hochschulanspruch, die von privaten Bildungsträgern, meist US-amerikanischen und britischen Hochschulen, ganze Weiterbildungskurse kaufen. Von den rund 100 MBA-Programmen - hochwertige und teure Weiterbildungsstudien zum "Master of Business Administration" - werden die meisten von privaten ausländischen Hochschulen angeboten. Oft vermarkten sie ihre Studienangebote über deutsche Franchise-Partner, wie die Hogeschool van Utrecht, die ihre Physiotherapeuten- und Logopädenausbildung über die deutsche Fresenius-Hochschule anbietet, oder die University of Surrey, deren Franchisenehmer eine "IBS Lippstadt" ist. Andere bieten ihre Dienste im Fernstudium über das Internet an.

In der Grauzone zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung operiert die SAE Corporation (School of Audio Engineering), eine weltweit agierende Schule für Berufe im Medienbereich. Noch ist der deutsche Markt für Anbieter aus dem europäischen Ausland nicht besonders groß. Erstens sind beträchtliche Bereiche noch öffentlich subventioniert und private Anbieter haben bislang keinen Rechtsanspruch auf diese Subventionen, und zweitens müssen sie staatliche Zulassungsverfahren durchlaufen. Diese aus marktliberaler Sicht restriktiven Bedingungen würden sich mit der Bolkestein-Richtlinie ändern.

Mit der Richtlinie soll die Niederlassungsfreiheit erweitert werden. Die Brüsseler Gläubigen der "unsichtbaren Hand" wollen die letzten Rudimente einer ohnehin schon abgebauten Bildungsplanung vernichten. Denn die Dienstleistungsrichtlinie verbietet ausdrücklich, dass der Staat die Zulassung oder die Nicht-Zulassung von Schulen, Kindergärten und Hochschulen von Gesichtspunkten des Bedarfs abhängig macht. Ihre Existenzberechtigung muss sich im freien Spiel des Marktes herausstellen. Buchstäblich alle Zulassungsregeln werden einem "screening" unterzogen. Das heißt, die EU-Kommission, also die Brüsseler Verwaltung, überprüft sie darauf hin, ob sie in ihren Augen notwendig sind. Schon heute monieren private Bildungsanbieter, dass freie Träger der Jugendhilfe, Berufsschulen oder Volkshochschulen durch ihre Subventionen einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil genießen, wenn sie sich an Ausschreibungen von Weiterbildungsmaßnahmen beteiligen. Auf den Prüfstand der Kommission kommen Bestimmungen, nach denen Bildungsaufträge nur an gemeinnützige Träger vergeben werden, das betrifft die Einrichtung von Kindergärten, Maßnahmen der Jugendhilfe oder Weiterbildungskurse, aber auch Privatschulen. Warum sollten sich nur die Caritas und der Internationale Bund beteiligen können und nicht die britischen Euro-Schools oder eine Kindergartenfirma aus Polen oder der Slowakei, die auch ihr eigenes, nach dortigen Tarifen entlohntes und dortigen Kriterien ausgebildetes Personal mitbringt?

Ob es so kommt, ist noch offen, das Europa-Parlament berät am 14. Februar in erster Lesung über die Bolkestein-Richtlinie und trifft voraussichtlich am 16. Februar eine Entscheidung. Stimmt eine Mehrheit für die Richtlinie, liegt es ausschließlich in der Hand der Brüsseler EU-Kommission, welche Regeln sie für unvereinbar mit dem freien Spiel der Marktkräfte hält. Für internationale Anbieter gälte das Herkunftslandprinzip: Eine Hochschule muss lediglich in ihrem Herkunftsland als solche anerkannt, ein Studiengang nach dortigem Recht zulässig sein. Dann steht einer Tätigkeit auf dem deutschen Markt nichts mehr im Wege. Hochschulen, die ihren Stammsitz in einem anderen Land haben, und sei es auch nur ein Briefkasten, sind nicht an deutsche Vorschriften gebunden. Jedes Land hat sein eigenes Verfahren, um die Qualität eines Studienangebots zu überprüfen und Studiengänge zuzulassen - in Deutschland gibt es dafür Akkreditierungsagenturen. Wer sie umgehen will, muss nur mit einer Hochschule in einem EU-Land kooperieren, in dem dieses Verfahren nicht gilt, etwa Großbritannien, oder selbst seinen Firmensitz dorthin verlegen - schon gelten die deutschen Qualitätsstandards nicht mehr.

Die Weiterbildung wird längst in einem privaten Bildungsmarkt abgewickelt. Da gibt es die großen Versandhäuser für Fernlehrangebote: "Akad" von der Cornelsen-Gruppe oder "ils" von Klett. Noch unterliegt der deutsche Markt für Fernlehre dem Fernunterrichtsschutzgesetz. Das schreibt vor, dass alle Kurse von der Zentralstelle für Fernunterricht zertifiziert werden müssen. Belegt jemand einen Techniker- oder Kaufmannslehrgang, der in Deutschland zugelassen ist, so soll er oder sie sich auf das Angebot verlassen können - egal woher der Anbieter kommt. Bisher. Nun argumentiert die EU-Kommission: Es sei den Anbietern von Dienstleistungen nicht zuzumuten, dass sie eigene Rechtsabteilungen unterhalten müssen, nur um sich auf 25 verschiedene Rechtssysteme in der EU einlassen zu können. Deshalb soll künftig nur noch das Recht des Herkunftslandes gelten. Dann wird der "Kunde" seine eigene Rechtsabteilung brauchen, um die 25 verschiedenen Rechtssysteme zu durchschauen, wenn er wissen will, welche Konditionen eigentlich gelten. Angeblich wird der Markt freundlicher und transparenter für die Anbieter, doch dafür werden Verbraucherrechte abgebaut.

Die Richtlinie gelte nur für Bildungsdienstleistungen, die gegen Entgelt angeboten werden, versucht der EU-Vertreter Sabathil zu beruhigen. Doch wie unterscheidet man die? Auch Privatschulen werden staatlich bezuschusst und unterliegen der staatlichen Aufsicht. Andererseits: Staatliche Hochschulen nehmen demnächst saftige Studiengebühren. Sie berufen sich darauf, dass sie eine Dienstleistung verkaufen. Damit würde der gesamte akademische Ausbildungssektor den von der EU diktierten Marktprinzipien unterworfen. Staatliche Zuschüsse für öffentliche Hochschulen wären dann eine Wettbewerbsverzerrung, wenn sie nicht allen Hochschulen gleichermaßen gewährt würden. Welche Studiengänge angeboten werden und welche nicht, zu welchen Preisen und auf welchem Niveau: all das wird künftig - wird die Richtlinie nicht in letzter Minute gekippt - einer demokratisch legitimierten, politischen Kontrolle entzogen. Die Dienstleistungsrichtlinie könnte eine Entwicklung vollenden, die hierzulande schon mit neuen Hochschulgesetzen und Studiengebühren in Gang gesetzt wurde - die Bildung von einem öffentlichen Gut zu einer Ware zu machen.

Demonstrationen gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie am 11. Februar in Berlin und Straßburg und am 14. Februar in Straßburg


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