In der Sackgasse

Bildungspolitik Die europäische Hochschulreform sollte die Unis attraktiver machen. Heute jubeln die Minister, doch die Bilanz ist verheerend

"Bologna burns“ – so heißt es im Aufruf von Studierenden, die anlässlich der Konferenz der EU-Wissenschaftsminister in Wien und Budapest zu Protesten aufrufen. Radikale Sprüche tun gut, wenn alle „Stakeholder“, also die beteiligten Minister, Rektoren und Bildungspolitiker, nicht müde werden zu versichern, dass der Bologna-Prozess so unumkehrbar sei wie die Klimakatastrophe. Und in der Tat: Die Sache ist nach zehn Jahren weit fortgeschritten, gut 80 Prozent der Studiengänge sind auf die neue zweistufige Struktur umgestellt. Die Handbücher sind geschrieben, Module, Workloads, Credits – an jeder Uni gibt es mittlerweile genügend Experten, die problemlos den Bologna-Neusprech beherrschen und die für die Akkreditierung nötigen Unterlagen produzieren können.

1999 hatten 29 europäische Wissenschaftsminister die Bologna-Erklärung unterzeichnet, ein Papier, das in den Rang unumstößlicher Wahrheiten aufgerückt ist. Bis 2010 sollte ein einheitlicher europäischer Hochschulraum geschaffen werden. Dabei wurde diese Deklaration in keinem Land ratifiziert und durch kein Parlament beschlossen. Er ist ein Beispiel dafür, wie hinterrücks ein scheinbarer Sachzwang aufgebaut wird, vorbei an jeder demokratischen und öffentlichen Legitimation.

Ziehen wir eine kurze Bilanz: Über allem steht das Ziel eines einheitlichen europäischen Hochschulraums, mit überall vergleichbaren Abschlüssen, mit gemeinsamen Bewertungskriterien für Studienleistungen und bis zu drei gemeinsamen Abschlüssen: Bachelor, Master und Promotion. Studenten sollten besser den Studienort wechseln können. Außerhalb der Hochschule erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten sollten für das Studium anrechenbar sein.

Was ist erreicht?

Was ist davon erreicht? Eigentlich nur, dass die Abschlüsse jetzt europaweit Bachelor und Master heißen. Besser vergleichbar sind sie deshalb nicht. Kann man zum Beispiel mit einem Bachelorexamen überall hingehen und ein Masterstudium anschließen? Nein. Nicht nur britische Hochschulen schauen erstmal, ob der jeweilige Bachelor überhaupt kompatibel ist mit dem britischen System. Die TU9, die selbst ernannte Elite der technischen Universitäten hierzulande, erkennt nur Bachelor an, die an einer ihrer Hochschulen erworben wurden. Mehr Mobilität? Fehlanzeige. Bachelor-Studenten gehen seltener ins Ausland, weil sie dadurch Zeit verlieren. Und da es keine Rahmenprüfungsordnungen mehr gibt, sieht das Biologie- oder Psychologie-Studium an jeder Uni anders aus. Qualitätssicherung? Man produziert Unmengen Papier, doch wie es im Alltag wirklich für die Studierenden aussieht, ist etwas ganz anderes. Die rennen von einem Kurs zum nächsten, der ihnen per Los oder Computerprogramm zugewiesen wurde.

Mit Bologna wurden eine Reihe anderer Ziele verknüpft. Zum Beispiel sollte die Zahl der Studienabbrecher gesenkt werden. Das gelingt zwar bei einigen Geisteswissenschaften, doch bei den Naturwissenschaftlern wurde das Gegenteil erreicht: Das vollgepackte Studium entmutig viele. Und dann die Employability, die Arbeitsmarktfähigkeit. Ein legitimer Anspruch, aber nicht neu. Viele Fakultäten haben bisher noch gar keine Ahnung, was aus ihren Absolventen wird, abgesehen von denen, die in der Wissenschaft bleiben und an den Unis promovieren. Vom Bauingenieur bis zum Philosophen, vom Lehrer bis zum Physiker – alle Studiengänge werden in das Prokrustesbett der Bachelor-Master-Struktur gepresst. Aber was soll ein Mediziner mit einem sechssemestrigen Studium tun? Wird er Pharmareferent? Oder ein Lehrerbachelor. In die Schule kann er damit nicht.

Diktat der Verwertungslogik

Das neuhumanistische Bildungsideal hatte immer den als gesamte Person handelnden Menschen im Blick. Man lernte, sich nicht kurzfristigen Zwecken unterzuordnen, Altes in Frage zu stellen, sich selbst zu bilden, und wurde dadurch auch in seinem Beruf gut. Diese Dialektik von ungezwungenem wissenschaftlichen Arbeiten, Persönlichkeitsbildung und beruflichem Nutzen wurde aufgegeben für die Unterordnung unter das Diktat einer vordergründigen betriebswirtschaftlichen Verwertungslogik. Die Bilanz der Hochschulreform nach zehn Jahren ist verheerend.

Lässt sich Bologna reformieren? Einiges ließe sich relativ rasch ändern: weniger Prüfungen, mehr Freiheit in der Studiengestaltung zum Beispiel. Der Übergang vom Bachelor zum Masterstudium sollte ohne Barrieren möglich sein. Nicht nur die Beschränkung des Bachelor auf sechs Semester muss fallen, das haben die Kultusminister ja mittlerweile eingeräumt, sondern auch die der Gesamtstudienzeit – Bachelor plus Master – auf zehn Semester. Weniger Zeitdruck würde den Bedürfnissen der großen Mehrheit der Studierenden entsprechen, die sich ihren Lebensunterhalt durch Jobben verdienen und keine 45-Stunden-Woche an der Uni verbringen können.

Es bleibt eine Hoffnung: Bologna zwingt die Studenten wieder in die Hochschulen. Und der Bildungsstreik beweist: Sie nehmen sich die Zeit, um in selbstorganisierten Arbeitsgruppen die Bedingungen und Inhalte ihres Studiums zu diskutieren. Dabei lernen sie mehr, auch unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsmarktfähigkeit, als in den zugelosten, überfüllten und schlecht betreuten Kursen der Bologna-Realität.

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