Lauter neue Studiengänge

Europäische Hochschulpolitik Viele Studiengänge haben Bachelor- und Master-Abschlüsse eingeführt. Doch es klappt nicht mit der europaweiten Anerkennung

Was, Sie haben den Bachelor? Na, Hauptsache, Sie stecken uns nicht an!" sagt in einer Karikatur ein Personalchef zu einem Bewerber, der dem Versprechen getraut hat, als Bachelor sei er ein in der Wirtschaft gefragter, berufsqualifizierter, junger, flexibler und international anerkannter Akademiker. Der dann leider feststellen muss, dass man "in der Wirtschaft" gar nicht auf ihn gewartet hat, ja, dass man noch nicht einmal weiß, was es mit seinem modernen, international anerkannten Abschluss auf sich hat. Im Rahmen des "Bologna-Prozesses" soll bis zum Jahr 2010 flächendeckend das konsekutive Studienmodell eingeführt werden - ein sechssemestriges Bachelor-Kurz-Studium, das berufsqualifizierend sein soll, und ein darauf aufbauendes Master-Studium.

In der Bologna-Erklärung haben sich die Wissenschaftsminister aus mittlerweile 30 europäischen Ländern zum Aufbau eines Hochschulraumes Europas verpflichtet: Studiengänge und -abschlüsse sollen kompatibel und untereinander vergleichbar sein, deshalb werden Bachelor und Master eingeführt.

Gut 1.500 Studiengänge der neuen Richtung gibt es schon in Deutschland, etwa je zur Hälfte Bachelor- und Master-Abschlüsse - von etwa 8.000 Studiengängen an deutschen Hochschulen. Doch nur 2,7 Prozent der Studierenden nutzen dieses Angebot. Hochschulrektoren und Wissenschaftsminister tun die fehlende Akzeptanz als Übergangsphänomen ab oder lasten sie der mangelnden Aufgeklärtheit der Studierenden an.

Aber richtig Bescheid weiß eigentlich niemand. Eine Umfrage des unternehmer-verbands-eigenen Instituts der deutschen Wirtschaft ergab, dass man nur in einem Viertel der befragten Großbetriebe eine Vorstellung vom "Bachelor" hatte. Eigentlich sollen Bachelor und Master sowohl an einer Fachhochschule als auch an einer Universität erworben werden können und gleich viel gelten, egal, ob Uni oder FH. Doch das würde eine der Grundfesten des deutschen Staatsapparats ins Wanken bringen - die Besoldungsordnung. Denn danach ist klar: Nur die Uni bringt einen in den höheren Dienst mit der begehrten Besoldungsstufe A 13, wer von der Fachhochschule kommt muss mit der mieseren gehobenen Beamtenlaufbahn zufrieden sein. Also behalten sich die Innenminister eine "Einzelfallprüfung" vor, und bringen damit das ganze schöne Gebäude ins Wanken.

Viele dieser 1.500 neuen Studiengänge seien nichts weiter als Umetikettierungen, meint Ekkehart Winter, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft. Im Sinne des "Bologna-Prozesses" sollen unter den neuen Etiketten auch neue Inhalte und Studienordnungen entstehen: fachübergreifende "Module" anstelle herkömmlicher Seminare und Vorlesungen, die nicht mit Scheinen, wie herkömmliche Lehrveranstaltungen, sondern mit Credit-Points abgerechnet werden. Die "Credits" sollen nach "Workloads" berechnet werden - wie viel Arbeitsaufwand braucht man für eine Veranstaltung? Mit 180 Credits hat man dann den Bachelor.

Damit tun sich die Professoren am schwersten, meint Roland Fischer, der frühere Prorektor für Lehre in Bochum. Nicht nur, dass der Prüfungsaufwand wächst: Plötzlich sitzen tatsächlich so viele Studierende in den Veranstaltungen, wie sich angemeldet haben, denn sie brauchen die "Credits" für ihre Prüfung. Die Räume sind total überfüllt.

Doch nicht nur die Unsicherheit der Berufsperspektive hält Studierende vom Bachelor ab. Unklar ist auch, ob man damit überhaupt weiter studieren kann. Man müsse den Übergang vom Bachelor- in das weiterführende Masterstudium quotieren, verkündete kürzlich der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger. Er denkt an etwa 30 Prozent, die weiter machen dürfen. Es geht also wieder einmal um die Einführung von Kurz- und Langstudiengängen, um die Rationierung wissenschaftlichen Lernens und Arbeitens.

Der Bachelor soll, anders als die bisherigen akademischen Abschlüsse berufsqualifizierend sein, ausgerichtet an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Doch wie sieht das konkret aus? Ist der Master of Rescue Engineering ein Angebot, auf das der Arbeitsmarkt händeringend wartet? Oder der Bachelor of Medical Management? Was de facto nichts anderes ist als 97 Prozent BWL plus drei Prozent Krankenhaus-Luft? Unsinn, meint Helmut Fangmann, der im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium für die neuen Studiengänge zuständig ist. Diese Spezialisierung bringt weder den Studis etwas noch den Arbeitgebern.

Mehr Transparenz, Kompatibilität und Mobilität soll der europaweit geltende Bachelor/Master bringen. Bisher ist das eine reine Luftnummer. Das hat gerade erst das Gezerre um die Anerkennung des deutschen Bachelor in Großbritannien gezeigt. Das NARIC, ein Büro zur Anerkennung von Abschlüssen, hielt den deutschen Bachelor nicht für ausreichend, um in Großbritannien damit ein Masterstudium beginnen zu können. Der Streit wurde mit einer butterweichen Erklärung beigelegt.

Mit den Credit-Points hat man zwar eine formal kompatible Maßeinheit geschaffen, eine Art Studien-Euro, doch de facto traut ihr niemand. Viele deutsche Hochschulen vergeben zwar die Punkte für ausländische Studierende, wenn es aber um die Anerkennung von auswärtigen Studienleistungen geht, verlassen sie sich nicht auf den Stand des Punktekontos.

Stefanie Schwarz vom Kasseler Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung ist der Ansicht, dass man auf die Dauer gemeinsame europäische Mindeststandards in den einzelnen Studienfächern braucht, um wirklich zu Transparenz und Kompatibilität im europäischen Hochschulraum zu kommen. Doch man dürfe sich keinen Illusionen hingeben. In den USA beispielsweise seien die Anforderungen an einen Bachelor zwischen Ost- und Westküste radikal unterschiedlich. Da hilft dann nur noch das "Diploma Supplement", also eine inhaltliche Beschreibung der erbrachten Studienleistungen.

Muss man aber alle Studiengänge neu erfinden? "Je länger ich daran arbeite, desto skeptischer werde ich gegenüber diesen flächendeckenden Lösungen", meinte Stefanie Schwarz aus Kassel. Es gebe heute schon genug Studiengänge mit einem funktionierenden Berufsbezug, da führe die zwanghafte Umgestaltung des Studiums zu neuen Modulen nur zu einem aufgeblähten und überflüssigen Verwaltungsaufwand.

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