Wie Hochschulen schachern

Studienplätze Das Durcheinander bei der Hochschulzulassung wird auch bis zum kommenden Wintersemester nicht behoben. Die Debatte ist von Streit beherrscht

„Die Hochschulen in Deutschland verstehen Chaos als Kultur,“ meint Joachim Metzner, Rektor der Fachhochschule Köln. „Sie wollen möglichst große Vielfalt, und das erzeugt aber auch Chaos.“ Die Selbstkritik kommt von einem Insider: Als Mitglied des Präsidiums der Hochschulrektorenkonferenz sitzt der Linguist in der Steuerungsgruppe aus Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Wissenschaftsministerien, die die Umwandlung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in eine Servicestelle leitet. Eine interaktive Datenbank sollte die Bewerbungs- und Anmeldeverfahren für die Hochschulen und die Studienbewerber koordinieren. Es funktioniert aber nicht. HRK und ZVS schieben sich gegenseitig die Schuld dafür zu. Ein von der ZVS angebotenes abgespecktes Übergangsverfahren findet bei den Hochschulen keine Gegenliebe.

Behörde in Abwicklung

Die ZVS galt als die Inkarnation von zentralen Bewirtschaftung der Studienplätze – und das passte nicht in eine Zeit, in der Hochschulautonomie nicht mehr aus der Wissenschaftsfreiheit, sondern aus der Marktideologie abgeleitet wird. Die Vergabestelle wurde in den siebziger Jahren eingerichtet. Das Bundesverfassungsgericht verlangte, dass trotz Numerus Clausus alle Menschen mit Abitur auch irgendwie die Chance auf ein Studium haben müssten, das gebiete die Freiheit der Berufswahl. Bürokratie soll also dazu dienen, Rechte der Bürger zu sichern – so hat sie ja schon Max Weber beschrieben.

Die Hochschulrektoren erreichten, dass die meisten Studiengänge mit raren Studienplätzen von ihnen selbst bewirtschaftet werden. Die ZVS ist nur noch für einige medizinische Fächer zuständig. Mit der Einführung von Bachelor und Master seien Studiengänge von Ort zu Ort zu unterschiedlich, und nach der Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes haben die Unis auch ganz unterschiedliche Zulassungsbedingungen – deshalb also keine ZVS mehr. Stattdessen also das mittlerweile häufig beschriebene Chaos bei Studierenden und Hochschulverwaltungen. Am Ende von zahlreichen Mehrfachbewerbungen, Zuteilungen, Absagen und Nachbesetzungsrunden blieben rund 15 Prozent der raren Studienplätze unbesetzt, und mancher „Nachrücker“ konnte erst mitten im Semester seinen Studienplatz einnehmen.

Hickhack bei der Programmierung

Abhilfe soll das neue interaktive Bewerbungsverfahren schaffen, für das die ZVS per Staatsvertrag der Länder zu einer Servicestelle umgewandelt werden soll. Doch statt Service gibt es nur Hickhack und abgrundtiefes Misstrauen der Hochschulen, die ihre neue Autonomie bei der Auswahl der Studierenden durch eine Behörde bedroht sehen, die die Attribute „Zentral“ und „Vergabe“ im Namen führt. Die Steuerungsgruppe einigte sich im Spätsommer auf das von der HRK inspirierte „Modell C“ für das künftige Serviceverfahren. Kern des Ganzen ist eine interaktive Datenbank. Jede Hochschule entscheidet autonom über die Zulassung, ohne Zutun der Servicestelle. Doch das ist der HRK nicht genug: alle beteiligten Hochschulen sollen permanent auf den Datenpool zugreifen können – ohne Vermittlung der Servicestelle. Studienbewerber tippen ihre Daten nicht auf dem ZVS-Portal ein, sondern jede Hochschule behält ihre eigene Anmeldemaske.

Auch den HRK-Vertretern war schnell klar, dass das eine harte Nuss für die Softwareentwickler ist. Nur ein Beispiel: Die HRK fragt gerade bei den Hochschulen die Online-Programme ab, mit denen die künftige Datenbank kompatibel sein muss. Es sind allein zwölf unterschiedliche Standard-Programme, hinzu kommen noch handgestrickte Einzellösungen. Schließlich wurde ein Übergangsverfahren entwickelt, das aber auch nicht konsensfähig war. Warum, bleibt unklar. Der HRK-Vertreter sagt, die ZVS hätte die zu erwartende Flut der Anträge nicht bewältigen können. Der Leiter des Hagener Rechenzentrums, das für die ZVS arbeitet, weist das empört zurück. Und der Leiter der Steuergruppe, der sächsische Wissenschaftsstaatsekretär Knut Nevermann, spricht von „verstiegenen und hypertrophen Forderungen“ der Hochschulen. Er sei wütend von diesen Diskussionen weggefahren. Die ZVS habe schließlich schon im letzten Wintersemester ein Serviceverfahren angeboten. Leider hatten sich aber nur acht Fachhochschulen und vier Universitäten beteiligt.

Zurück auf Los?

Auf der Mitgliederversammlung der HRK Ende Januar warb die ZVS erneut für ein Übergangsmodell. Als die HRK-Präsidentin, Margret Wintermantel fragte, welche Hochschule von dem Angebot Gebrauch machen wolle „da guckten alle stumm beiseite“, weiß ein Sitzungsteilnehmer. Nun soll der Direktor des Berliner Fraunhofer-Instituts für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik, „FIRST“, Professor Stefan Jähnichen, die Sache in die Hand nehmen. Er wird Anforderungen für die Ausschreibung entwickeln und das Projekt bis zur vollständigen Anwendung bei der ZVS leiten.

Ob Übergangs- oder endgültige Lösung: Beides kann daran scheitern, dass nicht genügend Hochschulen mitmachen. Die Hochschulrektoren lehnen jeden Zwang zur Beteiligung ab. Die Wissenschafts-Staatssekretäre wollen zwar von ihren Hochschulen die Teilnahme verlangen – doch wenn sie sich quer stellen? Wie zum Beispiel die Hamburger Uni-Präsidentin Monika Auweter-Kurtz, die unumwunden erklärt, dass sie sich an keinem Verfahren beteiligen werde, das über die Grenzen ihrer Hochschule hinaus ginge. Jeder Arbeitnehmer kenne das, dass er sich mehrfach bewerben müsse.

Nicht nur die sozialdemokratische Vorsitzende des Bildungsausschusses im deutschen Bundestag, Ulla Burchard, die GEW und der freie Zusammenschluss der StudentInnenschaften rufen nach einem Bundesgesetz zur Hochschulzulassung. Der Vorsitzende des Philologenverbands, Peter Meidinger, lobt die gute alte ZVS und ruft nach dem Bundesgesetzgeber und gesetzlichem Zwang, dass sich alle Hochschulen beteiligen. Und was spricht dagegen? „Das würde doch alles rückgängig machen, worum es in den letzten Jahren ging,“ wendet Joachim Metzner ein, der ja ein eher unideologischer Vertreter der Hochschulen ist.

Die Hochschulvertreter sind der neoliberalen Umdeutung des Freiheitsverständnisses blind gefolgt. Knappe Güter werden auf dem Markt verteilt, und nicht durch eine zentrale Vergabestelle. Sie wollen wie ein Unternehmen auf dem Markt agieren, mit dem feinen Unterschied, dass sie Kunden nicht nur werben, sondern auch noch selbst aussuchen wollen. Und dass es nicht um Marktanteile bei Waschmitteln geht, sondern um staatlich zu gewährleistende Lebenschancen. Dieser Ansicht war jedenfalls das Bundesverfassungsgericht. Wenn der Staat sich nicht auf der Nase herum tanzen lassen will muss also schleunigst ein bundeseinheitliches Verteilungsverfahren gesetzlich gesichert werden, jedenfalls, so lange die Studienplätze so knapp sind.

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