Es ist genau ein Jahr her: Das Bild des sterbenden Ernesto Alfabeto Nhamuave erschüttert die Welt. Die „menschliche Fackel“ von Ramaphosa prägt in den Maitagen des Jahres 2008 das Gesicht Südafrikas und lässt es zur Fratze gerinnen. Die junge Demokratie ist seither durch eine Feuertaufe gegangen, die sie ähnlich nur in den schwierigen Jahren ihrer Geburt erlebt hat – damals, als das Apartheidsregime aufgeben musste und die Freiheitskämpfer ihren inneren Frieden noch nicht gefunden hatten.
Mr. Zumas Gespür für Stimmungen
Und nun, nach zwölf Monaten innenpolitischer Krisen und außenpolitischer Verwerfungen: Jacob Zuma. Er wird das Gesicht der Regenbogennation in den kommenden fünf Jahren prägen. „Der schrillste Präsident der Welt“ titelte die Bild-Zeitung. Als ob es keinen Gaddhafi, keinen Kim Yong Il, keinen al-Bashir gäbe – um nur drei zu nennen. Seit seiner Amtseinführung am Samstag hat der vom Rinderhirten zum Staatschef aufgestiegene Vollblutpolitiker Zuma jede Gelegenheit genutzt, um das Negativimage zu konterkarieren, das Medien, Opposition und einige europäische Botschaften von ihm zeichnen. Es war eine Politik der kleinen, einfühlsamen Gesten, mit denen er seine Gegner überraschte und seine Anhänger jubeln ließ.
Hohe emotionale Intelligenz
Ein Moment bleibt dabei besonders in Erinnerung: Der greise Nelson Mandela ist zur Amtseinführung gekommen. Zerbrechlich sitzt er mit einer Decke über den Knien in einem Sessel. Seine Nachfolger Thabo Mbeki und Kgalema Motlanthe verneigen sich ehrfürchtig vor der Ikone des Freiheitskampfes. Jacob Zuma fasst seine beiden Hände und plötzlich kniet dieser massige Mann vor Mandela, den sie alle liebevoll Tata nennen. Mbeki war in den zehn Jahren seiner Amtszeit immer nur der „Chief“. Er hatte nie die Warmherzigkeit des Mannes, der in dem Augenblick, in dem sein Traum in Erfüllung geht, sein Knie vor dem größten Sohn der Nation beugt. Selbst seine politische Gegenspielerin Helen Zille nennt den 67-Jährigen einen Mann mit „hoher emotionaler Intelligenz“. Bei seinen Genossen heißt Zuma schon jetzt „Baba“ – Vater.
Zum größten Tag in seinem Leben hat er ganz bewusst seine erste Frau mitgebracht, Zizakele Zuma. Als er 17 Jahre alt war, hatte der junge ANC-Aktivist sich in sie verliebt. Sie wartete auf ihn, als er zehn Jahre auf der Gefängnisinsel Robben Island eingekerkert war. Sie hielt zu ihm, als er ins Exil gehen musste und in der Hierarchie der Freiheitsbewegung aufstieg. Sie erlebte seinen Aufstieg, seinen Absturz, sein Comeback mit ihm. Sie gab ihm auch in seinen schlimmsten Stunden Geborgenheit. Deshalb ist sie an diesem Tag an seiner Seite – und keine seiner anderen Frauen, die sie mit Gelassenheit toleriert.
Immer wieder schickt er symbolträchtige Botschaften aus, denen die politische Dimensionen nicht fehlt. Er umarmt Thabo Mbeki, der vor Schreck fast zur Salzsäule erstarrt. Am Tag des Sieges zeigt sich Zuma bewusst großzügig, selbst seinem erbittertsten politischen Feind gegenüber. Er lobt ihn in seiner Antrittsrede als „wahren Staatsmann“. Das sind Worte, die der verunsicherte ANC hören will, Worte der Vergebung, der Wärme und Einigkeit.
Im Zentrum der Amtszeit Mandelas habe die Versöhnung gestanden, sagt Zuma, während Thabo Mbeki das Fundament für wirtschaftliches Wachstum legte, so Zuma. Er biete der Nation nun eine „Partnerschaft der Erneuerung, der Entwicklung und des Fortschritts“ an. „Für alle Teile unserer Gesellschaft sollte die Einheit der Nation oberste Priorität haben,“ betont er und kommt damit der Sehnsucht seiner von Machtkämpfen und Spaltung erschöpften Partei und der Nation nach Aussöhnung entgegen.
Mit seinen ersten Entscheidungen unterstrich der neue Präsident, dass es bei Worten nicht bleiben soll: Den international hoch geachteten Finanzminister Trevor Manuel berief er zum Chef einer neuen Planungsgruppe im Präsidialamt und künftigen Macher der Politik. Für Wirtschaft und Investoren ist das ein Signal der Kontinuität. Über die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen wird eine Task Force unter Collins Chabane wachen. „Wenn irgendwo die Alarmlampen leuchten, sollen wir das Kabinett oder den verantwortlichen Minister beraten und Korrekturen vornehmen, bevor die Sache aus dem Ruder läuft,“ beschreibt Chanbane seine neue Aufgabe. Seinem Kabinett hat Zuma gleich zu Anfang klar gemacht: „Vor uns liegt eine Zeit harter Arbeit.“ Wer nicht spurt, der fliegt – eine seiner unmissverständlichen Botschaften.
Noch sind das alles Momentaufnahmen, Skizzen einer künftigen Politik. Nun kommt der Praxistest. Die Arbeitslosigkeit ist auf 31,2 Prozent hochgeschnellt. Fast sechs Millionen Südafrikaner sind mit dem HI-Virus infiziert. Rund um die Städte wachsen Elendsviertel. Zuma wird daran gemessen, ob er sein Versprechen wahr machen kann, Armut und Krankheit, Arbeitslosigkeit und Wohnungsknappheit wirksam zu bekämpfen. Das alles lässt sich in Zahlen und Fakten messen. Die Rezession, die das Land bedroht, macht die Ausgangsbasis für Zuma nicht rosig.
Anders als seine Vorgänger wird er es im Parlament mit einer sehr viel selbstbewussteren Opposition zu tun haben – wenn auch der Start der neuen Ministerpräsidentin in der Provinz Western Cape, Helen Zille, gründlich missraten ist: Ihr Kabinett besteht allein aus Männern, sechs von ihnen sind Weiße. Die liberale Wochenzeitung Mail Guardian titelte entsetzt: „Die Rückkehr des weißen Mannes.“ Doch auch Zille rüstet verbal ab. Mit Mugabe will sie ihn nach der Wahlschlacht nicht mehr vergleichen. „Zustände wie im Simbabwe wird es in Südafrika nicht geben“, versichert sie. Aber sie will den Präsidenten noch immer vor Gericht bringen, die Wiederaufnahme des Korruptionsprozesses juristisch erzwingen. Es bleibt spannend am Kap. Das Menetekel der menschlichen Fackel ist unvergessen.
Karl-Ludwig Günsche, Jahrgang 1941, hat fast 40 Jahre als politischer Korrespondent in Bonn, Moskau und Berlin gearbeitet, zuletzt als Leiter des Haupstadtbüros der Stuttgarter Zeitung. Seit vier Jahren lebt er mit seiner Frau, einer deutschen Diplomatin, in Kapstadt
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