Hartz IV - Gegen Stammtischpolitik

Hartz IV, Stammtisch "Da kann ich auch Hartz IV beantragen und habe es besser..." - Eine Aufklärung für all die, die denken, Hartz IV zu beziehen wäre echt knorke, ultracool oder einfach top

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Anique ist 25 (Name und nachfolgende Familie erfunden) und hat es nicht leicht. Sie und ihre Kinder beziehen Hartz IV. Anique hat Einzelhandelskauffrau gelernt, aber seit damals der Laden pleite ging, hat sie keine Arbeit mehr gefunden. Ihr Lebensgefährte, Dieter, ist überraschend gestorben. Sie haben zwei Kinder (Zwillinge) gemeinsam. Die Zwillinge sind jetzt 4 Jahre alt. Dieter stammt aus Stuttgart, er arbeitete bis zu seinem Tod als Straßenbahnführer in einer großen deutschen Stadt. Leider hat Dieter nicht fünf Jahre in die deutsche Rentenversicherung eingezahlt. Daher erhalten die Kinder von Dieter und Anique auch keine Halbwaisenrente. In Deutschland erhalten die Kinder von Verstorbenen nur dann Halbwaisenrente, wenn der verstorbene Anteil der Eltern mindestens fünf Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat.

So war es bis jetzt.

Anique hat aber gehört, dass sich da etwas geändert hat. Seit Juli 2017 könnten ihre Kinder zumindest Unterhaltsvorschuss erhalten, auch wenn der zum Unterhalt verpflichtete bereits verstorben ist. Leider gilt das nicht für Familien, die Hartz IV beziehen.

Aber die Kinder erhalten ja auch Hartz IV. Natürlich nicht den Regelsatz von 409,- Euro. Wer das glaubt, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Aber Anique hat schon oft gehört, dass Menschen das wirklich glauben. Pro Person im Haushalt 409,- Euro und dazu noch die Miete, Strom usw. bezahlt......

Anique lächelt bitter. Wenn die wüssten.....

Bedarf2017ab 2018Regelbedarf für Alleinstehende/ Alleinerziehende409 €416 €Volljährige Partner innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft368 €374 €RL unter 25-Jährige im Haushalt der Eltern / Strafregelleistung für ohne Zustimmung ausgezogene U 25’er327 €332 €Kinder 0 bis 6 Jahre237 €240 €RL für Kinder von 6 bis unter 14 Jahre291 €296 €Kinder 14 bis unter 18 Jahre311 €316 €

Aniques Lebensgefährte, leider auch Hartz IV Empfänger, lebt mit Anique in einer sog. "Bedarfsgemeinschaft". Da Anique für die Bedarfsgemeinschaft Hartz IV beantragt hat, erhält sie den vollen Regelsatz, ihr Lebensgefährte nur 368,- €. Warum das so ist, kann ihr niemand erklären. "Das ist halt so", wurde ihr auf dem Amt gesagt.

Anique dreht mal wieder den Euro herum, den sie eigentlich für den Einkauf beim Supermakt aufgehoben hat. Ob sie sich für 0,59 Cent mal eine günstige Tafel Schokolade leisten kann? Aber dann wären wieder wichtige Cents für die Kinder weg.

Ja, es ist nicht viel Geld, was sie hat. Sie könnte ja Kindergeldzuschlag beantragen. Leider erhalten Menschen, die Hartz IV beziehen keinen Kindergeldzuschlag. Dafür muss Anique einen Job haben und mindestens 600 Euro brutto verdienen.

Wären die Kinder von einem Ex-Ehepartner, der jetzt zum Unterhalt verpflichtet ist, würde sie entweder Unterhalt bekommen (Düsseldorfer Tabelle) oder Unterhaltsvorschuss. Aber auch da gibt es Unterschiede. Würde sie für die Kinder Unterhalt bekommen, würde das auf Hartz IV angerechnet. Sie hätte also keinen Cent mehr in der Haushaltskasse. Das Einkommen wäre um keinen Cent größer.

Dabei verpflichtet der Staat ja Ex-Partner, Väter wie Mütter, zum Kindesunterhalt. Dafür gibt es die "Düsseldorfer Tabelle". Wenn man aber Hartz IV bezieht, wird der Kinderunterhalt und das Kindergeld auf Hartz IV angerechnet. Das bedeutet: Was eigentlich für die Kinder sein soll, wird für den Unterhalt der ganzen Familie aufgebraucht.

Kurz denkt Anique darüber nach, was sie mit dem Kindergeld machen würde, wenn sie so um die 5000,- Euro netto verdienen würde. Denn in Deutschland ist es egal, wieviel man verdient. Kindergeld steht auch grundsätzlich jemandem zu, der 5 Mio. Euro im Monat verdient. Aber auch hier hat der Staat für reiche Menschen eine Besonderheit eingebaut:

"Ob Eltern das Kindergeld erhalten oder doch der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG gewährt wird, hängt von der Höhe des Einkommens ab. Am Jahresende macht das Finanzamt bei der Veranlagung zur Einkommensteuer automatisch eine Günstigerprüfung, welche Vergünstigung vorteilhafter ist. Als grobe Richtung gilt, dass der Kinderfreibetrag günstiger ausfällt als das Kindergeld bei einem zu versteuernden Einkommen von ca.


33.500 Euro bei Alleinstehenden und

63.500 Euro bei Verheirateten

Wenn Anique nur soviel verdienen würde. Dann könnte sie sich auch mal die schöne Handtasche leisten. Aber derzeit geht ihr ganzes Geld dafür weg, die Familie über Wasser zu halten. Sie muss dabei ständig in der Gesellschaft mit Vorurteilen gegen Hartz-IV-Empfänger kämpfen. Wer Hartz IV bezieht ist faul, schaut nur noch TV und hat keinen Bock zu arbeiten. Logisch. Ist ja ein tolles Leben mit Hartz IV. Anique wünscht sich, dass alle die Politiker, die das verantwortet haben und auch die, die es nicht zurückgenommen haben, mal einige Monate von ihrem Geld leben müssen. Und vor allen Dingen: Sie müssten inkongnito zum Amt gehen und sich so behandeln lassen wie sie. Anique hat immer Angst vor Terminen auf dem Amt. Da wird sie wie Dreck oder Ausschuss der Gesellschaft behandelt. Die sog. "Jobagenturen" haben jetzt angeblich "Kunden". Nur behandeln sie diese nicht auch so. Anique hat das Gefühl, dass die Sachbearbeiter dort extra darauf geschult werden, möglichst wenig zu informieren oder zu bewilligen. Sie vermutet, dass im Hintergrund Vorgaben existieren, wieviel man ablehnen muss, um ein williger und guter Sachbearbeiter zu sein. Aber das sind natürlich Hirngespinste.

Zum Glück gibt es ja 2018 wieder ein Anhebung des Hartz IV-Satzes. Von 409,- auf 416,- Euro. Und schon hört Anique wieder die Stammtische: "Die bekommen wieder mehr für NICHTS". In Wirklichkeit hat der Staat seit 2007 immer nur die Inflation ausgeglichen. Wer sich die Mühe macht, die Hartz IV-Steigerungen mit der Inflationsrate zu vergleichen und nachzurechen, wird feststellen, dass 2007 der Regelsatz 359,59 Euro ausgemacht hat und 2017 409,- Euro. Das ist nach Inflation eine Steigerung von 0,00 %. Dennoch geistert jedes Jahr durch die Medien, dass der Hartz IV-Regelsatz steigt, ohne mitzuteilen, dass das inflationsbereinigt NICHTS ist.

Aber in Talkshows sitzen Politiker, die vollmundig erzählen, dass der Hartz IV-Satz seit 2007 um soundsoviel gestiegen ist. Gerade diese Leute wissen um die Inflation. Das ist einfach unanständig.......

Es ist halt immer möglich, eine Statistik oder Grafik so oder so auszulegen. Wirkliche Schicksale interessieren die Politik nicht.

Anique nimmt ihren Euro und wirft sie in eine Spardose. Darauf steht: "Stiftung für ehrliche Politiker".

Da wird sie lange sparen müssen......

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Geschrieben von

karlderkarpfen

"Zwei Dinge sind unendlich. Das Universum und die menschliche Dummheit, wobei ich mir beim Universum noch nicht sicher bin." Albert Einstein

karlderkarpfen

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