Päpstliche Cremetörtchen, sogenannte papieska kremówka, Vatikan-Fahnen, ein kleiner, praktischer Klappstuhl und ein Regencape, das ist alles, was man für eine Heiligsprechung braucht. Wer wollte, konnte dieses Heiligsprechungspaket für insgesamt 32 Zloty im Supermarkt kaufen. 32 Zloty sind acht Euro. Billiger als ein Flug nach Rom also und insgesamt nicht viel, wenn man bedenkt, um welche wichtige Angelegenheit es sich handelt: die Heiligsprechung von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. Letzterer allerdings galt in Polen eigentlich schon immer als heilig.
Johannes Paul II. habe den Glauben seiner Landsleute mitten im Sozialismus und die Opposition gestärkt, erzählt man sich. Und obwohl das Land längst frei ist und dort die verschiedensten politische
politischen Meinungen und Weltanschauungen vertreten werden, ist er für viele noch immer ein wichtiger Bezugspunkt. So zeigte eine Befragung des Umfrageinstituts CBOS: 98 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass die Heiligsprechung für die Polen ein wichtiges Ereignis ist. Kein Wunder also, dass am vergangenen Wochenende überall weiβ-gelbe und weiβ-rote Fahnen aufgehängt wurden; Plätze und Kirchen in Krakau, Warschau, im päpstlichen Geburtsort Wadowice, im ganzen Land, eigentlich überall auf der Welt, wo Polen sind, waren schon in der Nacht vor der Heiligsprechung voller Leute.Doch mit diesem nationalen Stolz haben eben auch die Souvenirläden einen guten Deal gemacht. In Marktbuden in Wadowice sind zahlreiche Plastikkostbarkeiten spottbillig zu kaufen. Kürzlich hat sich das Sortiment um Schmuck, Feuerzeuge und Flaschenöffner mit dem Motiv des Papstes erweitert. Die Krönung der Originalität kam aus der Bestattungsbranche: einen Sarg mit dem Bildnis von Johannes Paul II. kann man sich für 6.000 Zlotys (1.500 Euro) kaufen. Wer mehr Authentizität braucht, findet sie in Internetauktionen. Dort floriert der Handel mit sogenannten Reliquien dritter Klasse: Gegenstände, mit denen der verstorbene Heilige irgendwie zu tun hatte oder die von ihm berührt wurden.Dass diese Heiligsprechung solche gedankenlose Begeisterung hervorruft, bekümmert den 27-jährigen Piotrek Żyłka, einen katholischen Journalisten und Aktivisten aus Krakau. Żyłka gehört zu jenen jungen Leuten, die sich stolz als Generation JPII bezeichnen und dessen Lehre ernst nehmen. „Wenn wir die Heiligsprechung nur emotional betrachten, tun wir allen unrecht – der Kirche, dem Papst und uns selbst. Der Papst hat doch immer gesagt: Hört auf, mir zu applaudieren, fangt an, auf mich zu hören!“Denn obwohl laut Umfragen 97 Prozent der Befragten ihre selig-seelische Verbindung mit dem Papst bestätigen, richten sich nur 48 Prozent im Leben nach seiner Lehre. Wissenschaftler sagen, dass man in Polen einen langsamen Wandel von kirchlicher hin zu individueller Religiosität bemerkt. Viele Gläubige verzichten auf eine regelmäßige Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst, akzeptieren vorehelichen Sex, Empfängnisverhütung oder partnerschaftliche Beziehungen ohne Ehe.Während Piotrek Żyłka und seine Freunde am Gottesdienst in Krakau teilgenommen haben, hat der 39-jährige Jarosław Milewczyk den Sonntag im Bett verbracht. Der Gründer des ersten Internetportals für Kirchenaustrittswillige – apostazja.pl – hat die Facebook-Gruppe „Sex statt Heiligsprechung“ gegründet, in der er zum Boykott der nationalen Euphorie aufruft. In Polen aus der Kirche auszutreten, ist eine komplizierte Sache, zu kompliziert, um sie hier zu erklären. Und einer wie Milewczyk kämpft schon seit ein paar Jahren mit den Austrittsprozeduren. Circa 200 Leute im Monat laden sich die entsprechenden Unterlagen von seiner Seite herunter. Die meisten davon sind junge Leute.Warum ist die Kirche für viele so unerträglich, frage ich den gläubigen Piotrek Żyłka. „Sie spricht mit einer Sprache, die vielen unverständlich ist, und es mangelt ihr an Vorbildern. Seitdem Papst Franziskus im Amt ist, fällt es mir jedoch leichter, mit Freunden, die zweifeln, zu diskutieren. Auch die beiden Päpste, die nun heilig gesprochen werden, waren ein gutes Beispiel für Offenheit und Zuhören können. Etwas, das heute nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Öffentlichkeit fehlt,“ erzählt er mir.Mit seinen Freunden aus dem Zentrum für Gedanken von Johannes Paul II. nahm er an einer Gesprächsreihe mit Prominenten teil, zu der Politiker aus allen Richtungen eingeladen waren. Das ist insofern interessant, weil wahrscheinlich nur der Papst es schafft, die polnischen Politiker zu einen: Der Sejm jedenfalls fasste mehrheitlich einen Beschluss, in dem die Anerkennung für Werk und Lehre des polnischen Papstes hervorgehoben wird.Solche Einstimmigkeit ist in Polen, dem Land des raschen Wandels, der letztendlich zu vielen Teilungen innerhalb der politischen und sozialen Szene geführt hat, nicht mehr so offensichtlich. Doch volle Kirchen am 27. April, wie früher während päpstlicher Pilgerfahrten nach Polen, zeigen, dass man sich nach dieser Einheit sehnt. „Es mangelt an Solidarität, an die uns der Papst immer erinnert hat. Es entwickelte sich eine Krankheit der „Politisierung“, die die ganze Öffentlichkeit betrifft“, beklagt auch Pater Maciej Zięba.Der Dominikaner ist Philosoph, Publizist, Oppositioneller und war ein enger Freund des Papstes. „Ich befürchte, dass die selige Belebung durch die Heiligsprechung diese Krankheit nicht heilt, zumindestens nicht in den Medien und in der Politik. Was sich ändern kann, ist die Einstellung vieler Polen, der Wähler, die ja auf die Politiker und die Medien Einfluss nehmen können. Ich würde mir wünschen, dass dies das nächste Wunder des heiligen Johannes Paul II. sein wird.“
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