1968: Ende einer Ruine

Zeitgeschichte Die Potsdamer Garnisonkirche, Symbol für die Allianz von Militarismus und Religion, wird gesprengt. Dass die Weisung dazu direkt von Ulbricht kam, ist nur eine Legende
Ausgabe 25/2018

Von Hitler missbraucht und von Ulbricht gemeuchelt“, ist auf einem der Transparente zu lesen, als im Oktober 2017 mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche begonnen wird. Gleich zwei „Lügenden“, wie Luther sagen würde. Als wären zwölf Jahre NS-Diktatur ein „Vogelschiss“ gegen dreihundert Jahre „Geist von Potsdam“, und als hätte Walter Ulbricht 1968 angewiesen, die Turmruine ausgerechnet an einem Sonntag zur Gottesdienstzeit zu sprengen, ungeachtet weltweiter Empörung. Wenn der SED-Chef so darauf versessen war, warum hatte er dann nicht gleich nach Kriegsende gehandelt? Und überhaupt: Weshalb kommt die Nachfolgegemeinde in der Kampagne der „Stiftung Garnisonkirche Potsdam“ so gar nicht vor?

Der 1735 errichtete Bau an der Breiten Straße überragte einst mit seinem 88 Meter hohem Turm alle anderen Bauwerke der Stadt. Die Garnisonkirche zu Potsdam war das einzige Gotteshaus, das direkt dem preußischen König unterstand. Hofstaat und Angehörige der Potsdamer Garnison bildeten die Gemeinde. Der Monarch war zwar ohnehin summus episcopus, oberster Bischof der preußischen Landeskirche, doch zeichneten Friedrich Wilhelm I. und alle späteren Hohenzollern-Könige in der Garnison- und Hofgemeinde auch unmittelbar verantwortlich für den Inhalt der Gottesdienste, die Raumausstattung wie die Auswahl des Kirchenpersonals. Die Ehe von Thron und Altar, hier fand sie ihre Vollendung – in der sakralen Ruhmeshalle des deutschen Militarismus, wo Ehrentafeln die Namen gefallener Offiziere und Soldaten trugen und die Standarten besiegter Armeen ausgestellt waren. Im Zentrum des Kirchenschiffes fand sich der marmorne Kanzel-Gruft-Bau mit den Särgen Friedrichs des Großen und seines Vaters, Friedrich Wilhelm I. „Seid ihr bereit zum Kampfe und bereit, gegebenenfalls auch zum Sterben?“, predigte Pfarrer Johannes Keßler in der Kaiserzeit. „Ihr sollt der starke Arm sein, der das Gericht über die Mörder verhängt. Ihr sollt die gepanzerte Faust sein, die hineinfährt unter die feigen Meuchelmörder.“

In dieser Kirche sei ein aggressiver Nationalismus verkündet und Hass auf andere Völker geschürt worden, schreibt der Journalist Matthias Grünzig in seinem Buch Für Deutschland und Vaterland. Dieser Überblick zur Geschichte der Garnisonkirche beschäftigt sich besonders mit der Zeit nach 1918. Wilhelm II. hatte abgedankt, sein Hofstaat ebenso, die Entourage aber sollte sich schon bald gute Positionen in der Potsdamer Stadtverwaltung verschaffen, und die Zivilgemeinde der Kirche behielt ihre deutschnationale Ausrichtung bei. Im Gemeindekirchenrat gaben Personen den Ton an, die der Weimarer Demokratie ablehnend gegenüberstanden: Fritz Werner, Alfred Rittner und Anna Schmidt waren Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), bis 1930 in Deutschland die führende rechtsnationale Partei.

Die evangelische Kirche machte sich zum Komplizen

Dass die DNVP die Garnisonkirche für Zusammenkünfte ihres Anhangs nutzte, war normal. Der antirepublikanische Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, zelebrierte hier sein Heldengedenken. Im Gegenzug fand in diesen Gemäuern nicht eine Veranstaltung statt, die für Frieden und Demokratie geworben hätte. Und so verwundert es nicht, dass die Garnisonkirche die einzige Kirche sein und bleiben sollte, in der Adolf Hitler eine Rede hielt. Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, wurde durch das NS-Protokoll inszeniert, wie vom „neuen“ eine Brücke zum „alten“ Deutschland geschlagen wurde und der „Führer“ dem „Ersatzkaiser“ Hindenburg die Hand reichte. Mit dabei im Geiste und im Sarge: Friedrich der Große. Vor dieser historisierenden Kulisse sollten die 14 Jahre einer parlamentarischen Republik als Episode und Irrweg erscheinen. Die evangelische Kirche machte sich zum Komplizen, sie stellte sich mit dem Sakralbau den Nazis zur Verfügung und segnete deren Inthronisation. In den Jahren danach blieb die Garnisonkirche als Ort für Fahnenweihen und Gautagungen der NSDAP verfügbar.

Wenn also Walter Ulbricht tatsächlich die Weisung gegeben hätte, eben diese Garnisonkirche als „Geburtsstätte des Dritten Reichs“ abzureißen – oder was davon noch übrig war: die Turmruine nämlich –, was war daran falsch? Anders als es die „Stiftung Garnisonkirche Potsdam“ auf ihrer Homepage suggeriert, gibt es keine Quelle, der sich entnehmen ließe, dass es eine ausdrückliche Initiative des Partei- und Staatschefs der DDR gab. „Quod non est in actis, non est in mundo“, was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt, lautet eine wichtige Maxime für Juristen, auch für Historiker. Ulbricht ließ sich, so erzählt es die Legende, bei einem Besuch in Potsdam am 22. Juni 1967, das heißt ein Jahr vor der Sprengung, ein Modell der neuen Innenstadt zeigen. Auf seine Frage, warum dies immer noch die Ruine der Garnisonkirche zeige, habe der Stadtarchitekt Werner Berg von einer unverzichtbaren Höhendominante im Stadtbild gesprochen. Darauf Ulbricht angeblich: „Dann müssen Sie sich wohl eine neue Dominante suchen.“ Allen Dokumenten zufolge, auch den Bebauungsplänen, die Walter Ulbricht an jenem Tag nachweislich vorgelegt wurden, war der Abriss zu diesem Zeitpunkt längst beschlossen. Ulbricht hat die Sprengung gebilligt, aber nicht initiiert. Der Rat der Stadt und der Rat des Bezirkes hatten bereits seit 1966 dazu Vorkehrungen getroffen.

Zur Erinnerung: Im Mai 1945 war die Potsdamer Innenstadt größtenteils zerstört durch einen Krieg, an dem die Kirchen beteiligt waren, sei es als Teil der Propagandamaschinerie des NS-Staates oder als Trostspender für mordende Soldaten der Wehrmacht. Von der Nikolaikirche und der Garnisonkirche blieben nur Ruinen. Und während sich zur Nikolaikirche noch rund 11.000 Protestanten zugehörig fühlten, zählte die Gemeinde der Garnisonkirche kaum mehr als 1.100 Mitglieder. Ein Wiederaufbau des Gebäudes erschien den Kirchenoberen damals als völlig weltfremd. Die begrenzten Mittel aus der Kirchensteuer, vor allem aber aus verschiedenen Spendenaktionen, konzentrierte die Kirchenleitung auf die Rettung der Nikolaikirche – und das mit staatlicher Hilfe.

Aus dem Hilfsfonds für denkmalgeschützte Kirchen des stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten Otto Nuschke (CDU) wurde der Wiederaufbau der Nikolaikirche erst mit 20.000 Mark, ab 1954 dann mit 80.000 Mark pro Jahr gefördert. Für DDR-Verhältnisse einst viel Geld, schließlich trug die Republik schwer an den Lasten der für die Sowjetunion zu leistenden Reparationen. Dennoch hat der SED-Staat in den 1950er Jahren jährlich 12 bis 18 Millionen Mark Staatsleistungen an die Kirchen überwiesen; in den 1960er Jahren gut 14 Millionen. Der evangelischen Kirche hätte es freigestanden, einen Teil des Geldes für den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu verwenden, die seit 1949 Heilig-Kreuz-Kirche hieß und ihre Gottesdienste in einer Notkapelle im Turmstumpf abhielt oder im Saal des Gemeindehauses in der Kiezstraße 10, wo die anderen Räume wegen der finanziell schwierigen Lage untervermietet waren: als Probebühne des Hans-Otto-Theaters, zum Teil als Möbellager des staatlichen Einzelhandelsunternehmens HO.

Die Ironie der Geschichte: Die Sprengung der Turmruine erwies sich für die Heilig-Kreuz-Gemeinde als Geldsegen. Hatte die Nachfolgerin der Zivilgemeinde der Potsdamer Garnisonkirche bis 1968 mit sinkender Mitgliederzahl und finanzieller Not zu kämpfen, erlebte sie ausgerechnet mit dem Abriss ihre Wiedergeburt. Mit den knapp 600.000 Mark staatlicher Entschädigung wurde das Gemeindehaus in der Kiezstraße zu einem modernen Begegnungszentrum umgebaut, mit Räumen für Gottesdienste, Vorträge, Filmvorführungen, ökumenische Treffen und sogar einem Kindergarten. All das konnte auch mit den Zinsen aus dem übrig gebliebenen Teil der Entschädigung finanziert werden. Im Gedächtnis der Gemeinde, die heute noch etwas über 200 Mitglieder zählt, gelten die 1970er und 1980er als die „goldenen Jahre“. 1990 lehnte der Gemeindekirchenrat den Wiederaufbau der Garnisonkirche ab.

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