Betteln ist Arbeit

Der Fall Schickedanz Wer sich als Reicher öffentlich zur Armut ­bekennt, wird ausgelacht. Wie ungerecht! Denn Betteln ist Arbeit, auch wenn es nur um Liebe und Verständnis geht

Womöglich hätte Madeleine Schickedanz besser daran getan, die Bild am Sonntag nicht zu empfangen, schon gar nicht in ihrer luxuriös anmutenden fränkischen Turmvilla. Den Boulevard reinzulassen, heißt immer auch: Hose runter! – Ja doch, sie spare, wo sie nur könne. Persönliche Ausgaben würden reduziert, von Lebensmitteln bis hin zu Kleidung und Kosmetik; man lebe von 500 bis 600 Euro im Monat. „Wir kaufen auch beim Discounter. Gemüse, Obst und Kräuter haben wir im Garten.“

Ihr mutiges Bekenntnis zur Armut trug der Quelle-Erbin in der Öffentlichkeit Hohn und Spott ein. Dabei sagt schon der Heiland: „Selig sind die, die im Geiste arm sind.“ Also nicht zuletzt jene, die im Bewusstein leben, jederzeit statt mit drei Milliarden Euro auch mit 27 Millionen auskommen zu können. Kurzum: Menschen, die teilen können, die mit ein paar Broten und Fischen den Anfang machen, so dass es körbeweise zurückkommt – und Madeleine Schickedanz hat in all den Jahrzehnten als Arbeitgeberin nun wirklich Tausende gespeist!

Dass Bescheidenheit, Armut und Demut in aller Öffentlichkeit denunziert, ja der Lächerlichkeit preisgegeben werden, so etwas hätte es früher nicht gegeben. Nach dem Krieg nicht (die Tochter des Firmengründers Gustav Schickedanz wurde übrigens in einem Nürnberger Luftschutzbunker geboren) und vor dem Krieg erst recht nicht. Überhaupt war früher alles besser...

In der berühmten Vita Eligii lesen wir: „Gott hätte alle Menschen reich erschaffen können, aber er wollte, dass es auf der Welt Arme gibt, damit die Reichen Gelegenheit erhalten, sich von ihren Sünden freizukaufen.“ Und noch in der mittel­alterlichen societas christiana galt die ­Armut Jesu als Frucht eines freiwilligen Verzichts auf Göttlichkeit und Königswürde. Die Armen und ihre Sympathisanten, eben solche pauperes cum Petro wie Madeleine Schickedanz, standen im Ruf, dem Herrn besonders nahe zu sein. In der Antike glaubten die Sterblichen gar, die Götter würden als Bettler verkleidet auf die Erde kommen und sie auf die Probe stellen, und sei es durch legitime Stellvertreter – wie Odysseus, den Athene bei seiner Heimkehr nach Ithaka in einen Bettler verwandelt, so dass er unerkannt bei Hofe als Bogenschütze reüssiert.

Das ist lange her. Dem modernen Schnorrer ist das Massaker fremd, ­obschon auch er vor Gewaltphantasien nicht gefeit ist. Denn von denen, die auf der Straße leben, kann kaum einer mehr davon leben: Zum „Containern“ gibt es kaum noch Pfandflaschen, und in den Einkaufspassagen wird man zunehmend von privaten Sicherheitsdiensten belästigt. Selbst der traditionelle Kirchenstich bringt kaum noch Ertrag; die Gottesdienste sind leer und die Pastoren ­geizig, immer öfter raten sie zur Annahme von Arbeit. – Um das hier noch einmal klarzustellen: Betteln ist Arbeit!

Und als ob das nicht genug wäre, werden die Betroffenen wieder und wieder mit dem stereotypen Vorurteil konfrontiert, dass es sich bei vielen von ihnen in Wahrheit um Millionäre handelt, solche etwa mit Traum- und Turmvilla in Franken. Das ist natürlich nur ein Klischee, wie der Fall Schickedanz beweist. Diese Frau bettelt vor allem um Liebe und ­Verständnis. „Ich bekäme mit meinen 65 Jahren noch nicht einmal Rente“.

In Zukunft wird sich Frau Schickedanz wohl noch mehr einschränken müssen, denn auch bei Lidl ist nicht alles preiswert, was billig ist. Hinzu kommen die ständigen Videoaufnahmen an der ­Kasse – hoffentlich wird sie später nicht mit den Filmen erpresst! Aber das wäre dann eine ganz andere Geschichte.


Der Autor hat 2009 den Publikumspreis beim Klagenfurter Literaturfest gewonnen. Er war Mitarbeiter diverser Obdachlosenzeitungen

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