City, Karat & Co.: Mit dem Ende des Ostrocks ist vielleicht auch die DDR zu Ende

Kolumne Bei Ostrock-Bands stehen die Zeichen auf Abschied, City hat sich inzwischen aufgelöst – die Gruppe, deren Sänger Flugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verteilt hatte, während der Bassist als Soldat in Prag dabei war
Ausgabe 03/2023
City-Sänger Toni Krahl
City-Sänger Toni Krahl

Foto: Imago Images/Future Image

Jeder Trinker kennt das Gefühl: „Einmal wissen, dieses bleibt für immer/Ist nicht Rausch, der schon die Nacht verklagt …“ Du säufst und säufst, gibst dir über Nacht die Kante, doch der Kick bleibt aus. Und was du siehst: „Ist nicht Farbenschmelz noch Kerzenschimmer/Von dem Grau des Morgens längst verjagt“. Kopfschmerz. Weltschmerz. Die Frau ist weg. Jetzt noch ein Konterbier. Und noch eins. „Einmal fassen, tief im Blute fühlen/Dies ist mein und es ist nur durch dich“. Mit dem neuen Tag bricht auch die Wirklichkeit an. Du schaust auf die Straße, willst heulen. „Nicht die Stirne mehr am Fenster kühlen/Dran ein Nebel schwer vorüber strich“, dein Atemhauch verdeckt die Sicht durch die Scheibe.

Der Song Am Fenster von City kommt ohne Refrain daher, nur mit Strophen. Die Verse der heute vergessenen Dichterin Hildegard Maria Rauchfuß erzählen von einer Melancholie, die niemanden unberührt lässt. Im wohl berühmtesten DDR-Song überwindet der Sänger Toni Krahl die Grenzen der Schwerkraft: „Klagt ein Vogel? Ach, auch mein Gefieder/Nässt der Regen, flieg ich durch die Welt.“

Für das Album wurde die Band in Griechenland mit einer Goldenen Schallplatte gefeiert, später auch in Westdeutschland. War doch schön, dass wenigstens die Künstler rauskamen.

Vor Kurzem hat sich City aufgelöst, fünfzig Jahre nach Gründung. Vielleicht ist die DDR jetzt wirklich zu Ende gegangen. Das war’s dann so langsam mit dem Ostrock. Die Puhdys treten nur noch vor Gericht gemeinsam auf. Bei Karat spielt noch der Gitarrist von der alten Besetzung; Karussell hat noch den gleichen Keyboarder. Und bei Silly, die nie dazugehören wollten, klingt ohnehin alles nach Abschied.

Von den bekannten DDR-Bands waren City nie peinlich. Oder wenn, dann nur ganz selten. Wir wollen nicht vergessen: In den Achtzigerjahren hing einem der Nalepa-Sound aus den Ohren heraus. Irgendwie klang alles nach Schlager und wurde mit FDJ-Förderverträgen in Schweineöde produziert, im Funkhaus in der Nalepastraße, in Berlin-Oberschöneweide.

Die Konkurrenz aus dem Westen fehlte; die „Jugendmusiktanzformationen“ haben sich selbst befruchtet, ohne fremde Inspiration. Und dann erst das Friedenseiapopeia im Palast der Republik. Gegen die Nato-Hochrüstung! City sind natürlich auch bei „Rock für den Frieden“ aufgetreten. Sie waren eben keine Punkband. „Staatsrocker“ waren sie aber auch nicht. Toni Krahl hatte im August 1968 Flugblätter verteilt, gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Armeen des Warschauer Vertrags. Hundert Tage saß er dafür im Gefängnis. Sein Bandkollege, der Geiger und Bassist Joro, ist beim Einmarsch in Prag live dabei gewesen, als Soldat der bulgarischen Armee. In keiner anderen DDR-Band dürfte es solche Spannungen gegeben haben, zwischen Haltung und Unterhaltung. Irgendwann hat Joro die Band verlassen und bei NO55 gespielt. Offiziell hieß es damals: „Ohne Bass und ohne Haare mit City durch die Achtzigerjahre!“

Das Album Casablanca war ihr bestes. Mit z. B. Susann waren City die ersten, die es in der DDR schafften, die Worte „Mauer“ und „Berlin“ in einem Song auf Platte zu pressen. Als dann Toni Krahl vor einem Konzert nahegelegt wurde, den Titel Halb und Halb nicht zu singen – City waren damals in der Radrennbahn Weißensee die Vorband von Bryan Adams – rezitierte er den Text wie ein Gedicht, und das vor 70.000 Leuten! „Die Hälfte ist rum. Worauf wartest du noch?/Im halben Land und der zerschnittenen Stadt/halbwegs zufrieden mit dem, was man hat.“

Ihre Songs waren bei Weitem besser als das Land, aus dem sie kamen. Und irgendwie auch das richtige Leben im falschen. Danke.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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