Der Kommandant muss abtreten

DDR Hubertus Knabe ist nicht mehr Direktor der MfS-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Sein Verständnis von Geschichtswissenschaft war seit jeher äußerst fragwürdig
Für Hubertus Knabes (Bild) Ablösung stimmte unter anderem der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft
Für Hubertus Knabes (Bild) Ablösung stimmte unter anderem der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft

Foto: imago/IPON

Hubertus Knabe ist Geschichte – gerade für einen Historiker ein bitterer Vorgang. Die taz schrieb unter der Überschrift „Hubertus Knabe aus Knast entlassen“ – nach 17 Jahren! –, der Stiftungsrat habe die Reißleine gezogen nach all den Turbulenzen um AfD-Nähe, eine schwierige politische Prioritätensetzung und schließlich die Vorwürfe sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die waren zwar gegen den Vizedirektor gerichtet, doch soll Hubertus Knabe seinen Stellvertreter durch aktives Wegschauen gedeckt und überhaupt in der Gedenkstätte einen „strukturellen Sexismus“ gefördert haben. Die Senatsverwaltung für Kultur teilte in einer Stellungnahme mit, der Stiftungsrat habe kein Vertrauen, „dass Herr Dr. Knabe den dringend notwendigen Kulturwandel in der Stiftung einleiten wird, geschweige denn einen solchen glaubhaft vertreten kann.

Thesen zu Hans Globke

Um es gleich vorwegzunehmen: Hubertus Knabe ist kein, wie es bei konservativen Journalisten jetzt heißt, „streitbarer Historiker“ – in der Geschichtswissenschaft ist er vielmehr umstritten und zwar sehr umstritten. Wir wollen festhalten: dieser Mann hat einen Hans Globke zum „entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus“ erklärt. So geschehen 1999 im Buch Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen. Der spätere Staatssekretär im Bonner Kanzleramt habe in der NS-Zeit durch seine Interpretation der Nürnberger Rassegesetze Tausenden von sogenannten Mischlingen das Leben gerettet. Gibt es hierzulande und heute noch irgendeinen anderen Historiker, der Ähnliches behauptet? Und was seine angeblichen Verdienste im Umgang mit DDR-Vergangenheit betrifft, die der Tagesspiegel ihm im Rückblick zuschreibt: Das Niveau der Aufarbeitung wird nicht in Dezibel gemessen. Dem gesellschaftlichen Diskurs zur DDR-Geschichte hat Hubertus Knabe keinen Dienst erwiesen. Einem Historiker hat es darum zu gehen, andere zu überzeugen – nicht sie zu besiegen.

In Knabes Denken ist der SED-Staat ein statisches Gebilde, das sich seit den Fünfzigerjahren nicht wesentlich verändert hatte. Sein Mantra von der „kommunistischen Gewaltherrschaft“ macht es ihm unmöglich, die verschiedenen Entwicklungsphasen der DDR-Geschichte zu beschreiben. Hinzu kommt, dass sein Umgang mit den Quellen schon mal zu wünschen übrig lässt. Die Thesen zu Globke etwa hat Knabe gar nicht erst versucht zu belegen. Offenbar ging es ihm allein darum, so der Historiker Klaus Bästlein in seinem Buch Der Fall Globke: Propaganda und Justiz in Ost und West, die frühe Bundesrepublik von den Schuldvorwürfen aus der DDR zu entlasten. Ohnehin ist seine Prämisse von der flächendeckenden Unterwanderung der alten Bundesrepublik durch Stasi-Agenten sehr fragwürdig. Kritikern begegnete er Ende der Neunzigerjahre mit dem Verweis auf die Rosenholzdateien, die sich damals noch in US-amerikanischer Hand befanden. Wolfgang Wippermann, Geschichtsprofessor an der Freien Universität Berlin, bezeichnete Hubertus Knabe in diesem Kontext als „Verschwörungsideologe mit gewissen neurotischen Zügen“. Die Rosenholz-Dateien wurden 2003 der Bundesrepublik übergegeben; sie enthielten keinerlei Protokolle einer West-Verschwörung. „Es handelte sich um einen gezielten Bluff“, sagt Wippermann.

Knabes Stern am Firmament der Aufarbeitung war dann auch zwischenzeitlich am Sinken. In der Stasi-Unterlagenbehörde war er irgendwann von Joachim Gauck als Sachgebietsleiter abgesetzt worden. Gaucks Nachfolgerin in der Behörde, Marianne Birthler, sollte ihn sogar feuern. Und das nicht allein, wie es auf Wikipedia heißt, einer „Parallelveröffentlichung“ wegen, weil Hubertus Knabe ein neues Buch über die Westarbeit des MfS im falschen Verlag herausbrachte – Marianne Birthler übte schwere Kritik an seiner Arbeit. Ihr ehemaliger Mitarbeiter habe in etlichen Fällen gegenüber westdeutschen Journalisten IM-Vorwürfe erhoben, die er nicht wirklich belegen könne. Will heißen: Selbst nach den Kriterien der Stasiunterlagenbehörde war Hubertus Knabe ein unseriöser Historiker. Birthler übrigens wird fortan die Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen beraten und unterstützen.

Relativierung der NS-Geschichte

Unter Konservativen und ehemaligen SED-Gegnern aber erfreute er sich immer größter Beliebtheit. Schließlich ging es ihm nicht nur um die Anerkennung der SED-Opfer, sondern gleichermaßen um ihre Gleichstellung mit den NS-Opfern – was unter dem Strich auf eine Relativierung der NS-Geschichte hinausläuft. Vergleichen kann man nur, wenn man das Unvergleichbare (Holocaust und Vernichtungskrieg) ausspart. Die Art und Weise seiner Inszenierung und die Vielzahl seiner Publikationen, die allesamt ohne Zwischentöne den Unrechtsstaat DDR anprangerten, aber vor allem die Unterstützung durch die SED-Opferverbände verhalfen ihm 2001 zur Berufung als Direktor der MfS-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen.

Unter seiner Ägide wurden wie nie zuvor (übrigens auch im Vergleich mit anderen Gedenkstätten wie Bautzen II) ehemalige Häftlinge in die Erinnerungsarbeit mit einbezogen. Im einstigen Stasi-Knast führen keine Historiker die Besucher durch die Gänge, sondern grundsätzlich Zeitzeugen. Die Gedenkstätte ist ihr Sprachrohr, wohingegen das normale Kerngeschäft einer solchen Institution – Forschung und Dokumentation wie auch die Vermittlung der Geschichte nach wissenschaftlichen und pädagogischen Standards – vernachlässigt wurde. Daher ist es mit dem Renommee der Gedenkstätte in Fachkreisen nicht weit her.

Die Kulturwissenschaftlerin Carola S. Rudnik wurde vor einigen Jahren zur Arbeit der DDR-Gedenkstätten promoviert. In ihrer viel beachteten Dissertation stellt sie Hubertus Knabe ein schlechtes Zeugnis aus: Er betreibe „pro-aktiv“ eine antikommunistisch gefärbte Geschichtspolitik. Dem Zeitzeugenangebot seiner Einrichtung fehlten begleitende, objektivierende Informationsmaterialien und Ausstellungen, die die opferzentrierte, monoperspektivische Geschichtsvermittlung in einen übergeordneten historischen Kontext setzten.

Eine einstimmige Kündigung

Lange Zeit schien Hubertus Knabe gegen Kritik immun zu sein. Jegliche Beanstandung seiner Arbeit wurde als Opferverhöhnung diskreditiert. Er war nicht nur Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, er war ihr Kommandant. Einer, der schon früh mit dem Schlimmsten rechnete. Im Juni 2001 sprach er in der Berliner Morgenpost über seinen Verdacht, „dass es politische Tendenzen gibt, mich aus diesem sensiblen Bereich zu entfernen. Offenbar setze ich mich zu sehr für die Opfer des DDR-Geheimdienstes und die Aufklärung des Stasi-Einflusses auf den Westen ein… Ich hatte vermutet, dass man mich bekämpfen werde. Dass es aber soweit gehen würde, konnte ich nicht ahnen.“

Und dann kam alles ganz anders. Dem Stiftungsrat, der nun die Kündigung einstimmig beschlossen hat, gehört auch ein Vertreter der SED-Opfer an. Dieter Dombrowski, der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, ist jeder Nähe zur Linkspartei unverdächtig. Das Gleiche gilt für Birgit Neumann-Becker, die Magdeburger Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur oder auch für Maria Bering, die dem Gremium im Auftrag der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) angehört.

Erst im August hatte der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk der Berliner Zeitung ein Interview gegeben. Der Projektleiter der Abteilung Bildung und Forschung der BStU-Behörde fand darin deutliche Worte in Richtung Hohenschönhausen: „Die wichtigste Berliner Gedenkstätte für die Verbrechen des Kommunismus wird seit Jahr und Tag wie ein Privatverein von Knabe geführt. Alle wissen das, und keiner schreitet ein.“ Das ist jetzt geschehen.

Karsten Krampitz ist Historiker und Schriftsteller. Er veröffentlichte unter anderem das Buch 1976. Die DDR in der Krise. Am Mittwoch, 3. Oktober 2018, sendet der Deutschlandfunk um 9. 30 Uhr seinen Essay zur Erinnerungspolitik „Die DDR neu erzählen“

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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