Der skandalöse Umgang mit der Causa Giffey

Plagiat Die Ministerin hat betrogen. Trotzdem wird sie für ihre „offene Art“ gefeiert. Wie passt das zusammen?
Ausgabe 22/2021
Franziska Giffey nimmt das Dokument, das ihren Rücktritt bestätigt, aus Infektionsschutzgründen selbst in Empfang
Franziska Giffey nimmt das Dokument, das ihren Rücktritt bestätigt, aus Infektionsschutzgründen selbst in Empfang

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Franziska Giffey ist am Widerspruch von Geist und Macht gescheitert. Damit man hierzulande promoviert wird, muss ein eigener Beitrag zur Forschung vorliegen. Diesen Beitrag hat die als Familienministerin zurückgetretene SPD-Politikerin in ihrer Doktorarbeit nicht erbringen können. Und die Fußnoten weggelassen, damit es wenigstens danach aussah.

Mit anderen Worten: Um sich im Politikbetrieb mit akademischen Meriten schmücken zu dürfen, hat sie betrogen. Der eigentliche Skandal aber ist der Umgang mit dem Skandal. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch spricht in den sozialen Medien von „geradezu lehrbuchartigem Re-Framing“. Vermutlich hätte sie ihr Amt nach der Bundestagswahl im September ohnehin verloren, der Preis für ihren Rücktritt war gleich null. Von der eigenen Partei wird sie bejubelt. „Das ist Franziska Giffey, wie wir sie kennen“, schreibt Berlins Innensenator Andreas Geisel auf Facebook. „Sie steht fest zu ihrem Wort und bleibt sich treu. Sie verkörpert Aufbruchsstimmung, die Menschen mögen ihre herzliche und offene Art. Sie kann anpacken, steht für ein soziales, modernes und offenes Berlin.“ Worte wie „Dissertation“ und „Untersuchung“ oder gar „Plagiat“ und „Betrug“ werden vermieden.

Schon im November hatte Franziska Giffey erklärt: „Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Menschen ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet.“ Ach ja? Wenn ihr der Namenszusatz nichts bedeutet, warum wollte sie ihn dann? Warum hat sie mit dem Dr. sogar unterschrieben?

Und eine Frage an die Freie Universität Berlin: Wie kann es sein, dass jemand einen Doktor in Politikwissenschaft bekommt, ohne dieses Fach studiert zu haben? Giffey hat kein abgeschlossenes Universitätsstudium. Als Absolventin der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin fehlen ihr offensichtlich die Standards wissenschaftlichen Arbeitens.

Die Plattform VroniPlag beanstandet an 119 Stellen ihrer Dissertation Plagiate. Einer Arbeit, die mit 214 Seiten auch quantitativ recht dünn ist. Wie die Zeit berichtete, gehörte ihre Doktormutter Tanja Börzel, deren wissenschaftliche Reputation ohnehin umstritten ist (ihre Biografie als Lehrstuhlinhaberin weist gar keine Habilitation aus), auch noch der Kommission an, die bei der ersten Untersuchung über die Aberkennung des Titels entscheiden sollte. Zudem habe Börzel, so berichtete die Zeit, das Gremium mit Personen besetzt, die ihr nahestehen.

Mit der Freien Universität Berlin als „Exzellenzuniversität“ ist es offenbar nicht weit her.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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