Der Smog kommt aus China

Post aus Fernost IV Unser Autor Karsten Krampitz war mit dem Künstler Ulf Wrede in Korea unterwegs für die Wiedervereinigung. Vierter und letzter Teil seines Reiseberichts

24. Dezember 2018: Unser letzter Tag in Korea, Heilig Abend und noch dazu mein Geburtstag. Ulf und ich hatten gestern reingefeiert, in einer Kaschemme nahe dem Hotel. Fühlt sich merkwürdig an, Weihnachten in der Fremde – in Seoul, der Stadt der Eile, gerade jetzt an den Feiertagen. Was noch? Wir haben keine Liebespaare gesehen, jedenfalls keine, die sich geküsst haben oder an den Händen gehalten; auch niemanden, der öffentlich trinkt oder raucht. Der einzige Rauch hier, sagt man uns, der Smog, kommt aus China. Und anders als in China fährt hier niemand Rad.

Dieser Text ist Teil 4 des Reiseberichts von Karsten Krampitz. Hier gibt es Teil 1, Teil 2und Teil 3 zu lesen

Als Referenten in Sachen Wiedervereinigung, unter besonderer Berücksichtigung der Bildenden Künste, waren wir heute – Achtung! – zu Gast an der Dongduk Women‘s University resp. am dortigen College of Art. Im Publikum saßen etwa 20 Studentinnen und einige Professoren beiderlei Geschlechts. Bevor Ulf Wrede wieder auf die Geschichte der Videokunst zu sprechen kam, u.a. im DDR-Untergrund, wiederholte ich meinen Vortrag aus Busan. Diesmal aber war alles dichter und kohärenter, zur Freude Prof. Kims, der wieder simultanübersetzte. Mittlerweile sind wir mit ihm richtig vertraut geworden, wir duzen uns. Seung-Ho war recht angetan, dass es heute flüssiger losging…

Zwischen Korea und Deutschland hat es nach 1945 Gemeinsamkeiten gegeben, aber eben auch deutliche Unterschiede. Zur Erinnerung: Die Deutsche haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und als Vernichtungskrieg geführt. Die Koreaner dagegen waren Opfer, ihr Land war von den Japanern besetzt. Meine These nun, dass die Alliierten zu uns Deutschen freundlicher waren als zu den Koreanern, sollte ich näher ausführen. Also erklärte ich, der Stalinismus (in Nordkorea) und der Kapitalismus (in Südkorea) seien hier viel extremer gewesen als bei uns. Bestimmte Vorfälle wären in Deutschland undenkbar. Zum Beispiel das Massaker von Nogeun-ri am 26. Juli 1950, bei dem Angehörige der US-Armee etwa 400 Zivilisten erschossen haben. In Deutschland haben die Amerikaner darauf geachtet, dass eine Demokratie entsteht. In Südkorea haben sie dagegen mehrere Militärdiktaturen billigend in Kauf genommen.

Diskutiert haben wir auch die Rolle der Künstler als ideologisches Korrektiv. In Nordkorea hat die Propaganda eine eigene, künstliche Wirklichkeit geschaffen. Schon ein Dichter oder Maler würde reichen, diese Wirklichkeit schwer zu beschädigen, zu dekonstruieren. Gemeint ist das glorreiche Selbstbildnis, das bis heute die nordkoreanische Führung von den Errungenschaften und dem Fortschritten im eigenen Land zeichnet. Was ich nicht wusste: Am Anfang sind hier noch etliche linke Intellektuelle und Künstler in den Norden gezogen, weil sie ein besseres Korea aufbauen wollten, ähnlich wie bei uns die Exilschriftsteller wie Anna Seghers und Bertolt Brecht. Die meisten von ihnen wurden in Nordkorea dann umgebracht. – Anders die DDR: Brecht bekam ein eigenes Theater, seine Kollegin wurde Präsidentin des Schriftstellerverbandes.

Wie wir dann beim Abschiedsessen erfuhren, plant unser Gastgeber, der Maler Prof. Kim sang-chul, eine Biennale, die die Entwicklung im geteilten Korea thematisiert. Dem soll ein Symposium vorausgehen, zu dem auch deutsche Künstler eingeladen werden. Vielleicht kommen wir ja wieder.

Karsten Krampitz ist Historiker und Schriftsteller. Er veröffentlichte unter anderem das Buch1976. Die DDR in der Krise.

Ulf Wrede, Jahrgang 68, ist diplomierter Jazzpianist und Bildender Künstler mit zahlreichen Ausstellungen und Stipendien im In- und Ausland, zusammen mit Else Gabriel als Künstlerduo (e.) Twin Gabriel. Seit 2000 betreibt er mit seiner Firma Creme „Video-Archäologie“ im Kunstsektor

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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