Die DDR-Kirche hat es gar nicht gegeben

Geschichte Vor dreißig Jahren tagte in Berlin zum letzten mal die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen. Über ihre Rolle ist heute wenig bekannt
Ausgabe 06/2021
Anders als die katholischen haben die evangelischen Kirchen in der DDR ihre Türen weit geöffnet für die Mühseligen und Beladenen – für Behinderte, Punks, „Gammler“, Homosexuelle und nicht zuletzt für die Ausreisewilligen
Anders als die katholischen haben die evangelischen Kirchen in der DDR ihre Türen weit geöffnet für die Mühseligen und Beladenen – für Behinderte, Punks, „Gammler“, Homosexuelle und nicht zuletzt für die Ausreisewilligen

Foto: HärtelPRESS/IMAGO

In Ostdeutschland ist die Kirche heute vielerorts nur noch ein Gerücht, dabei war sie früher mal von einem Nimbus umgeben. In der DDR galt das Studienfach Theologie als etwas Exotisches, die Pastorengehälter lagen weit unter denen der Facharbeiter. Pfarrern wurden per se Eigenschaften wie Integrität und Unbestechlichkeit zugeschrieben, noch dazu Sozialkompetenz in allen Belangen. Auf dem Heiratsmarkt waren sie heiß begehrt. Evangelische Prediger durften mit ihren Familien ausreisen, wann und wohin sie wollten; der DDR-Wirtschaft entstand ja kein Verlust, nur der Kirche eben. Und Religion war ohnehin „Opium des Volkes“.

Aber hatte es die DDR-Kirche überhaupt gegeben? Speziell den BEK, den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR? – Zumindest kirchenrechtlich wurde diese Frage mit der deutschen Einheit aufgeworfen: Im Auftrag des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) legte Ende August 1990 der Tübinger Kirchenrechtler Martin Heckel ein Gutachten vor, wonach die EKD-Mitgliedschaft der DDR-Landeskirchen niemals aufgehört, sondern lediglich geruht hatte. In den Jahren der deutschen Teilung habe es immer eine evangelische Kirche in Deutschland gegeben, deren Landeskirchen sich allerdings seit 1969 in zwei verschiedenen Kirchenbünden organisierten, die sich an den Staatsgrenzen orientierten. Ebendiese organisatorische Trennung wurde nun – wenn auch kirchenjuristisch verbrämt, um die DDR-Bischöfe nicht zu desavouieren – für nicht rechtens erklärt.

In der Ökumene genoss der DDR-Kirchenbund weltweite Anerkennung: eine Kirche, die an Mitgliedern schrumpfte, aber an gesellschaftlichem Einfluss gewann; die der Friedensbewegung nahestand und sich dem Kontrollanspruch der SED zu entziehen versuchte. Anders als die katholischen haben die evangelischen Kirchen in der DDR ihre Türen weit geöffnet für die Mühseligen und Beladenen – für Behinderte, Punks, „Gammler“, Homosexuelle und nicht zuletzt für die Ausreisewilligen. Im Sinne von Dietrich Bonhoeffer waren sie „Kirche für andere“. Aber das ist lange her.

Vor dreißig Jahren, zwischen 22. und 24. Februar 1991, tagte in Berlin zum letzten Mal die BEK-Synode. Ende Juni stellte der Kirchenbund der einstigen DDR dann auch offiziell seine Arbeit ein. Die Vereinigung mit der EKD war, wie ehedem die staatliche Vereinigung, nichts weiter als ein Beitritt – nur dass die ehemaligen DDR-Pfarrer über Nacht das Fünffache ihres alten Gehaltes bezogen. Die Pastoren im Osten waren die Gewinner der deutschen Einheit. Die Kirche aber hat verloren.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden