Unter Künstlerkollegen hat der Name Wolf Biermann zu allen Zeiten polarisiert. „Idiot“, „Arsch“: Was Biermann gerne über andere sagt, heißt es auch von ihm. Dem lauten Moralisten Biermann wurden seine persönlichen Defizite gegengerechnet. Westen: Von Günter Wallraff bis Klaus Wagenbach. Osten: Manfred Wekwerth, lange Jahre Intendant des Berliner Ensemble, sprach von einer Differenz von Talent und Charakter. Der Sänger Reinhard Lakomy sah das ähnlich. Geradezu verbittert war Stephan Hermlin, der den jungen Biermann einst gefördert und deshalb 1962 seine Anstellung in der Akademie der Künste verloren hatte. Irgendwann habe Biermann mit ihm kein Wort mehr gewechselt. „Das lag nicht an mir, sondern er sprach nicht mehr mit mir. Er hat mich so behandelt, wie er jeden seiner Freunde behandelt hat, weil er offensichtlich seine Freunde als Feinde bezeichnet, wenn sie nicht bedingungslos billigen, was er macht. Ich entdecke auch heute noch eine große Begabung, auch heute noch Schönheiten und Wahrheiten, aber sie ersticken unter einem Wust von hasserfüllten wahnwitzigen Ausflüchten.“
Dass im November 1976 ausgerechnet Stephan Hermlin den Protest der Schriftsteller organisierte, sagt viel über die Unerträglichkeit der damaligen Verhältnisse aus. Ein Dutzend Literaten meldete nachhaltig Widerspruch an, mit einem Offenen Brief, der den Sprengsatz enthielt: „Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossene Maßnahme zu überdenken.“ Die Chancenlosigkeit solcher Petitionen wird allen bewusst gewesen sein. Im SED-Staat hat es dergleichen äußerst selten gegeben, dass eine „Maßnahme“ zurückgenommen wurde. Indem die Schriftsteller dennoch unterschrieben und damit nichtabsehbare Nachteile im Literaturbetrieb in Kauf nahmen, bewiesen sie Rückgrat und Haltung – in der deutschen Literaturgeschichte ein einmaliger Vorgang. Die Namen der Erstunterzeichner: Sarah Kirsch, Christa und Gerhard Wolf, Volker Braun, Franz Fühmann, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Jurek Becker, Erich Arendt und eben Stephan Hermlin, der, warum auch immer, schon bald seine Unterschrift zurückziehen sollte.
Dieser Tage nun wurde Wolf Biermann erneut ausgegrenzt. Nur dass Erich Honecker inzwischen Wolfgang Engler heißt. Der regiert kein Land, sondern die Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Engler ist Philosoph und wurde mit Büchern wie Die Ostdeutschen als Avantgarde einem breiten Publikum bekannt. In seinem Amt als Rektor fungiert er zugleich als Chef des bat, des Berliner Arbeiter-Theaters, der hochschuleigenen Bühne für die Inszenierungen seiner Studenten. Nach zwei Jahren des Umbaus soll das bat-Studiotheater nun aus Berlin-Weißensee zurück an die alte Spielstätte in Prenzlauer Berg. Das muss gefeiert werden. Und jetzt das: Für eben diese Feier hatte einer der beiden noch lebenden Gründer, konkret: Wolf Biermann, erst keine und dann keine richtige Einladung erhalten. Dazu muss man wissen, dass der Gründervater des bat im Jahr 1963 dort Hausverbot erhalten hat. Großes Theater um die kleine Studiobühne. Biermann wurde wieder ausgesperrt, und wie ehedem vor 41 Jahren meldete sich umgehend Protest in Gestalt einer Petition, initiiert unter anderem vom Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und der Schriftstellerin Ines Geipel, die nun selbst an der „Ernst Busch“ Professorin ist.
Beleidigte Leberwurst
Ihre Unterschrift wie auch die Intention des Schreibens irritieren: „Wir bitten Sie nun auch um nichts, schon gar nicht darum, dass Sie Ihre unsägliche Entscheidung zurücknehmen. Lassen Sie es dabei …“ Das klingt nicht gerade nach ernsthaftem Dialog, sondern eher nach beleidigter Leberwust. Im bat steht kein Jubiläum an. Das Theater wurde saniert und wird nun wiedereröffnet. Dafür hätte man Biermann als Festredner einladen können. Oder auch nicht. Wo liegt das Problem?
Vielleicht werden zukünftige Historiker dahin tendieren, dass Biermanns Ausbürgerung weniger ein Datum als ein Prozess war, in dem das eigentliche historische Ereignis der Offene Brief und die Solidarisierungswelle mit Biermann waren. Am Ende waren es über hundert Kulturschaffende, die sich der Petition angeschlossen haben. Für eine kurze Zeit stellten sie in der DDR eine kritische Öffentlichkeit her. Klaus Schlesinger erinnerte sich nach der Wende: „Fortan war namhaft, wer die Moral über das Fortkommen, die Glaubwürdigkeit über den Nationalpreis, die Wahrheit über die Ideologie stellte.“ Für Schlesinger stand außer Frage, dass dieser Protest den „geistigen Erosionsprozess einleitete, der in der DDR 14 Jahre später“ zu deren Ende führte.
Aus heutiger Sicht bemerkenswert an der Petition, die damals via Westmedien für Furore sorgte, ist der Bezug auf Marx: „Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter. Das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat, eingedenk des Wortes aus Marxens Achtzehntem Brumaire, demzufolge die proletarische Revolution sich unablässig selbst kritisiert, müsste im Gegensatz zu anachronistischen Gesellschaftsformen eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können.“ Im Achtzehnten Brumaire des Louis Napoleon analysiert Marx den Staatsstreich Louis Bonapartes am 2. Dezember 1851. Gleich zu Anfang spottet er über Hegel, der irgendwo geschrieben habe, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. „Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Ein Muster, das öfter mal und auch auf die beiden Biermann-Petitionen zutrifft.
Eine Tragödie war es damals auf jeden Fall. Der Protest im Land beschränkte sich nicht nur auf die Oberschicht der DDR-Boheme. Wie der Historiker und Journalist Heribert Schwan recherchiert hat, wurden im November 1976 im Kontext der Biermann-Ausbürgerung 40 Menschen von der Volkspolizei und dem MfS „zugeführt“; gegen 18 von ihnen wurden Ermittlungsverfahren wegen staatsfeindliche Hetze sowie Staatsverleumdung eingeleitet, 14 dieser Verfahren endeten mit Haft. Für die DDR-Gesellschaft noch einschneidender war der kulturelle Aderlass. Immer mehr Künstler sahen in der DDR keine Perspektive und verließen die Republik in Richtung Westen. Noch im Dezember 1976 begann der große Exodus: Thomas Brasch und Katharina Thalbach waren die Ersten, Manfred Krug folgte im Jahr darauf, Armin Mueller-Stahl, Gerulf Pannach und Christian Kunert. Und bald auch Klaus Schlesinger, Bettina Wegner, Hans Joachim Schädlich und viele andere. Filme, in denen etwa Manfred Krug oder Armin Mueller-Stahl zu sehen waren, wurden im DDR-Fernsehen nicht mehr ausgestrahlt.
Wenn nicht alles täuscht, erleben wir in diesen Tagen gerade die Farce. Der zentrale Satz der neuen Biermann-Petition lautet: „Wir protestieren gegen den erneuten praktischen Herauswurf von Wolf Biermann aus dem bat.“ Die Autoren des Papiers suchen also ganz bewusst die Analogie zu ‘76. Mit ihrer Unterschrift wieder dabei sind eigentlich nur die Musiker Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky. Rolf Schneider fehlt. Kein Volker Braun, kein Günter Kunert und schon gar kein Gerhard Wolf – die vier noch lebenden Erstunterzeichner. Stattdessen Namen von DDR-Oppositionellen wie Erhart Neubert, der 1976 in die Block-CDU eingetreten ist, oder Freya Klier. In ihrer veröffentlichten Biografie ist das Jahr der Biermann-Ausbürgerung eine Leerstelle. Ein anderer Name ist Siegmar Faust, der Anfang der 1990er Jahre einer Aufseherin aus dem KZ Ravensbrück zu einer Entschädigungssumme von 64.350 Mark verhalf, wovon sie dem „Schriftsteller“ Faust 7.000 Mark schenkte.
Kandidat der SED
Insgesamt haben rund fünfzig Leute unterschrieben. Und wie bei der ersten Resolution geht es den Unterzeichnern nicht nur, vielleicht noch nicht einmal an erster Stelle, um Biermann. Eher um die Frage: In was für einem Land wollen wir leben? Der Wolf Biermann aber des Jahres 1963, von dem im Brief an Engler die Rede ist, war damals noch ein unbekannter Philosophiestudent, Sohn eines in Auschwitz ermordeten Hamburger Kommunisten und selbst Kandidat der SED, der eines Tages in der Kölner Sporthalle siebentausend Menschen begeistern würde – dieser Wolf Biermann hätte sich um die fehlende Einladung nicht geschert. Der wäre auch so hinggegangen. Und während auf der Bühne die Laudatio gesprochen wird, hätte dieser Biermann im Foyer die Gitarre ausgepackt und dem Abend seinen Stempel aufgedrückt.
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