Oh je. Die koreanische Küche hat sich mir auf den Magen geschlagen, aber mit aller Gewalt. Mit anderen Worten: Alles scheiße hier. Das Schlimmste ist passiert. Auf dem Campus musste ich heute meinen Vortrag unterbrechen. Nach einer Dreiviertelstunde meinte ich zu Prof. Kim, er möge mal kurz aufhören mit Simultanübersetzen. Es gebe da ein Problem, und zwar ein sehr dringendes…
Dieser Text ist Teil 2 des Reiseberichts von Karsten Krampitz. Teil 1 ist hier zu lesen.
Bis dahin lief es ganz gut. Ich habe jeden Satz sehr langsam und deutlich gesprochen. Vor nicht ganz einer Woche hatte ich dem Professor mein Manuskript zukommen lassen, so dass er es bereits übersetzt hatte. Allerdings habe ich mich nicht zu hundert Prozent an den Text gehalten. Denn womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass der Vortrag durch seine Übersetzung mehr als doppelt so lang dauern würde. Im Saal waren um die siebzig Kunststudenten, von denen drei in den ersten Minuten aufgestanden und gegangen sind. Das Thema Deutschland-Korea interessiert eben nicht jeden. Beide Länder erfuhren ja nach dem Zweiten Weltkrieg ein ähnliches Schicksal, dass die Siegermächte das Territorium teilten und dass sich fortan zwei unterschiedliche Staaten gleicher Nation feindlich gegenüberstanden. Dazu muss man wissen, dass Nordkorea das einzige Land war, dass diplomatische Beziehungen nur zur DDR unterhielt, nicht aber zu Westdeutschland. Während bei uns der Arbeiter- und Bauernstaat um Anerkennung durch Bundesrepublik kämpfte, war es hier Nordkorea, das den anderen Staat nicht ankennen wollte.
Zuerst habe ich über den Einfluss des Koreakriegs (1950-53) auf die deutsche Teilung gesprochen. Nicht nur, dass die DDR mit einer Spendenwelle Nordkorea ganz konkret unter die Arme griff (zu einer Zeit als Deutschland selbst noch vielerorts in Trümmern lag) und der Wiederaufbau der zweitgrößten Stadt in Nordkorea, Hamhŭng, nur durch die massiven Hilfeleistungen der DDR möglich war. Als Lehre aus dem Koreakrieg, dem ersten militärischen Konflikt zwischen den Blöcken, verlangte Stalin von den „Bruderstaaten“ verstärkte Rüstungsanstrengungen. Die DDR, gegründet am 7. Oktober 1949, sollte auf einmal eine eigene Armee aufbauen! Zur Erinnerung: Die SBZ zahlte immer noch Reparationen an die Sowjetunion und das nicht zu knapp! Jeden Monat flohen etwa zehntausend Menschen nach Westdeutschland – und jetzt sollte dieser Staat aus dem Nichts eine Armee schaffen (ausgerechnet auf dem Gebiet hatten wir genug Fachkräfte). Im SED-Politbüro entstand damals die Idee, bei den Arbeitern die Normen zu erhöhen, ohne Lohnzuwachs. Will heißen: Ohne den Koreakrieg hätte es vielleicht keinen 17. Juni gegeben.
Auch in Westdeutschland hatte der Koreakrieg Auswirkungen: Bundeskanzler Adenauer konnte mit Blick auf die koreanische Halbinsel – wo der kommunistische Teilstaat den westlich orientierten Süden mit einer riesigen Armee überfallen hatte – die Wiederaufrüstung und den Aufbau einer westdeutschen Armee begründen. Zuvor hatte es für die Wiederbewaffnung keine Mehrheit in der westdeutschen Gesellschaft gegeben.
Ich konnte grade noch erzählen, dass im November 1961, nach dem Bau der Berliner Mauer, der stellvertretende Ministerpräsident in Nordkorea, Li Dju Jen, dem DDR-Botschafter Schneidewind den vertraulichen Rat gab, eine militärische Lösung zu suchen. Li Dju Jen sagte: Westberlin sei eine Insel, die von den Imperialisten nicht verteidigt werden könne. Die DDR habe alle strategischen Höhen besetzt, und man müsste diese strategischen Höhen ausnutzen, bevor man sie einbüßt. Man müsse das Besatzungsregime in Berlin beseitigen und die Amerikaner verjagen. Das wäre die Hauptfrage. Die Imperialisten würden wegen Berlin keinen Krieg führen. Es käme nur darauf, mutig die günstige Situation auszunutzen. – Was für ein Ratschlag!
Und das war dann der Moment, als sich mein Verdauungsapparat meldete… An der Dong-A kenne ich mich überhaupt nicht aus. Ein Student musste mich begleiten, mir den Weg zur Toilette zeigen. Der junge Mann brachte mich dann auch wieder zurück, ohne eine Miene zu verziehen. Auch im Publikum hat der peinlichen Unterbrechung wegen keiner gegrinst. Auf einmal hoben sich Hände. Fragen. Was denn der wichtigste Unterschied wäre zwischen der DDR und Nordkorea? – In meinem Land, sagte ich, hatte der Kommunismus eine Entwicklung durchgemacht. Unter Honecker hatte es sich besser gelebt als unter Ulbricht. Nordkorea ist dagegen immer noch dieselbe stalinistische Diktatur. Unterschieden haben sie sich auch im Außenpolitikverständnis. Die DDR betrieb eine Politik der friedlichen Koexistenz, um auf jeden Fall einen Dritten Weltkrieg zu verhindern, wohingegen die Koreanische Demokratische Volksrepublik sich bis heute als Bollwerk gegen Weltimperialismus versteht. Anders gesagt: Die sind irre. Wenn ich im Fernsehen die Berichte sehe, von den Raketentests mit Kim Jong-un, wird mir schwindlig. Eine Studentin wollte daraufhin wissen, wie ich unlängst die Begegnung bewerte zwischen Kim und dem südkoreanischen Präsidenten. – Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass Kim weiß, dass er seinen Staat, seinen Unterdrückungsapparat nicht überleben wird. Ob nun Ceausescu in Rumänien oder Gaddafi in Libyen, sobald der totalitäre Staat zusammenbricht, geht’s dem Diktator an den Kragen. Kim Jong-un kann gar nicht für die Widervereinigung sein. Aus seiner Sicht wäre das Selbstmord. Aber das ist nur meine Meinung.
Eine andere Frage war dann, wie denn die Wiedervereinigung in Korea aussehen wird. – Ich stellte erst einmal klar, dass ich mit dem Nationenbegriff meine Schwierigkeiten habe. Benedict Anderson sagt, Nationen sind erfundene Gemeinschaften. Der Tag wird aber kommen, an dem in Nordkorea der Unrechtsstaat zusammenbricht. Die Menschen dort werden dann Hilfe brauchen, Hilfe aus Südkorea.
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