Eine würdige Gewinnerin und eine gute Rede

Klagenfurt Der Ingeborg-Bachmann-Preis ging dieses Jahr an eine Ostberlinerin. Ein Highlight von vielen in der Geschichte der Verleihung
Ausgabe 26/2020

Helga Schubert hat den Bachmannpreis gewonnen! Er sei ihr gegönnt, ausdrücklich. Ihre Erzählung Vom Aufstehen hat keinen unberührt gelassen: eine Geschichte vom Verzeihen, von Abschied und Weiterleben. „Helga Schubert hat Lebensgeschichte in Literatur verwandelt“, so die Jurorin Insa Wilke in ihrer Laudatio. Der Text beeindrucke durch seine Lebensklugheit, aber auch durch eine Autorin, die sich in feiner Ironie im Raum der Literatur bewegt, „von des Knaben Wunderhorn über christliche Lieder bis hin zu Prousts Suche nach der verlorenen Zeit“. Für die Achtzigjährige war es der zweite Anlauf zum Wettlesen nach Klagenfurt. 1980 war sie schon einmal eingeladen, auf Vorschlag von Günter Kunert (damals Juror), doch die DDR-Kulturbehörden verweigerten ihr die Ausreise. Zwei Jahre zuvor hatte Ulrich Plenzdorf mit der DDR-kritischen Erzählung Kein runter, kein fern den Preis gewonnen, woraufhin die SED-Literaturfunktionäre bestrebt waren, eine Wiederholung solcher „Hetze“ zu verhindern. Der unglücklichen Helga Schubert erklärte man damals, es gebe gar keine deutsche Literatur. Nur eine DDR-Literatur, eine BRD-Literatur, eine Österreich- und eine Schweizer Literatur. – Und jetzt das! Oder in den Worten Helga Schuberts: „Alles gut.“

Dabei war in den letzten Jahren bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur (2020 coronabedingt virtuell ausgetragen) von ostdeutschen Autoren nichts mehr zu hören. Ihre Erfahrungshorizonte interessierten nicht, die Zone schien auserzählt, und das 2019, dreißig Jahre nach dem Mauerfall. Dabei haben ostelbische Schriftsteller den „Bewerb“ einmal dominiert. Um nur die anderen Hauptpreisträger zu nennen: Katja Lange-Müller, Angela Krauß, Wolfgang Hilbig, Kurt Drawert, Uwe Tellkamp (auch der!), Lutz Seiler und zuletzt 2010 Peter Wawerzinek. – Eine Ausnahme war 2017 die Lesung von Jackie Thomae, die in Klagenfurt leider keinen Preis gewann, dafür aber im vergangenen Jahr mit ihrem Roman Brüder auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stand. Der Vater der gebürtigen Hallenserin stammt aus Westafrika. In Rufweite ihres Themas, dem subtilen Rassismus der Mittelschicht, bewegte sich heuer die „Rede zur Literatur“ in Klagenfurt, gehalten von Sharon Dodua Otoo. Sie fand kaum Resonanz in den Medien. Dabei, was für ein Ereignis! Während überall auf der Welt Menschen für Black Lives Matter demonstrieren, las hier – zum ersten Mal in der 43-jährigen Geschichte des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs – eine Schwarze Aktivistin und Schriftstellerin dem Literaturbetrieb die Leviten. Zugeschaltet aus Berlin, plädierte die Bachmannpreisträgerin des Jahres 2016 für die Großschreibung des Wortes „Schwarz“, sobald es nicht um die Beschreibung eines Hauttons geht, sondern um eine politische Selbstbezeichnung, um die Zugehörigkeit zu einer Community.

Wir hätten uns von der Autorin mehr Mut zur Provokation gewünscht, zur Kritik an den Verhältnissen, nicht nur an der Sprache. „Dürfen Schwarze Blumen Malen?“, so der Titel ihrer dennoch wunderbaren Rede. Und ja, sie dürfen. Worum es der Rednerin aber wirklich ging: um eine Kritik an den Medien. In den überwiegend weißen deutschsprachigen Redaktionen werde zu eng am Duden festgehalten und Schreibweisen „korrigiert“. Sharon Dodua Otoo aber sagt: „Eine Sprache, die es geschafft hat, sich von ‚Fräulein‘ zu verabschieden und ein Wort wie ‚Safari‘ willkommen zu heißen, ist stark genug, um weitere Upgrades zu verkraften.“

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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