Vollende die Wende!“ – Die AfD ist hierzulande nicht die erste Partei, die ihren Machtanspruch aus der Geschichte herzuleiten versucht. Nicht was geschehen ist, zählt, sondern auch, woran man sich erinnern mag. Und wie schnell wird aus Fantasie Erinnerung.
„Dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht!“, sagt Björn Höcke, geboren 1972 in Lünen, NRW. Seine Partei fordert ihre Wähler auf: „Werde Bürgerrechtler!“ Eine Bezeichnung, die damals keiner kannte. Die Leute in den Umwelt- und Friedensgruppen verstanden sich zu allererst als „kritische Bürger“, die den Sozialismus für „verbesserlich“ hielten und sich sicher nicht wünschten, dass im Osten einmal Wessis drei Viertel aller Spitzenjobs besetzen. Erst Bild und West-Feuilleton schrieben von „DDR-Bürgerrechtlern“, Zeitungen wie die FAZ, in der bald Redakteur Frank Pergande verkünden durfte: „Die DDR war nicht nur ein Unrechtsstaat, sie war auch sehr hässlich.“ Pergande, Jahrgang 1958, muss es wissen. Bei Wikipedia lesen wir, dass er in Leipzig studiert hat und seine Diplomarbeit Zur Geschichte der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ schrieb: „Ein Beitrag zur Erforschung der Funktion des imperialistischen Journalismus in der BRD.“
Ob nun Nazi oder Salon-Ossi: Um Geschichte wird immer gerungen. Zu allen Zeiten wurden Verhältnisse legitimiert oder kritisiert, indem eine Vergangenheit mobilisiert wurde, die es so gar nicht gegeben hat. Zur Erinnerung: Im Windschatten der Ausreisebewegung gründeten vor nunmehr dreißig Jahren Pastoren, Vikare und Diakone im Pfarrhaus zu Schwante, nördlich von Berlin, die Sozialdemokratische Partei der DDR. Die Gruppe berief sich auf die Geschichte der Arbeiterbewegung. Kein Witz: Kirchenleute gründeten eine Arbeiterpartei. Wenn das Bebel noch erlebt hätte! Beim Arbeiterkaiser standen sich Kirche und Sozialdemokratie noch wie Hund und Katze gegenüber. Im Herbst ’89 ging es darum, einer anderen Arbeiterpartei, die auch keine war, das Wasser abzugraben.
Schon ein halbes Jahr später hätte man meinen können, die DDR befände sich auf dem Weg, ein moderater Kirchenstaat zu werden. Eine solche Präsenz von Kirchenleuten in demokratischen Strukturen hatte es im deutschen Sprachraum noch nicht gegeben. Und dies in Ostdeutschland, wo die Menschen, wie der Theologe Wolf Krötke sagt, vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Die Kirche war geschrumpft, ihr Einfluss in der Gesellschaft aber gewachsen.
Viele Demonstrationen hatten in den Gotteshäusern ihren Ausgang genommen. Die Runden Tische der Wendezeit waren von Geistlichen moderiert worden. Und schließlich brachten die ersten und letzten freien DDR-Parlamentswahlen am 18. März 1990 nicht nur einer namentlich christlichen Partei den größten Stimmenanteil – in die Volkskammer zogen 24 Theologen, unter ihnen stolze 22 Pfarrer mit gültiger Ordination! Der neue Regierungschef Lothar de Maizière war stellvertretender Präses der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, wo sich auch der neue Finanzminister Romberg über viele Jahre als engagierter Laie einen Namen gemacht hatte. Als Verteidigungsminister und Außenminister der DDR ließen sich ebenfalls zwei ordinierte Pfarrer vereidigen. Nicht übergangen werden soll der Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Vorsitzende der Deutschen Sozialen Union, namentlich Hans-Wilhelm Ebeling, gleichfalls evangelischer Pastor. – Ob das der Sieg auf ganzer Linie sei, frohlockte Altbischof Schönherr damals nicht ohne Ironie. „Bedeutet das klerikale Machtergreifung in bisher nicht gekanntem Ausmaß?“
Stolpe und die Hohenzollern
Die fand dann tatsächlich statt, in Brandenburg, wo der Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche Ministerpräsident wurde. 1994 sollte er für die in Schwante gegründete Partei bei den Landtagswahlen 54,1 Prozent der Stimmen holen. Das nicht, obwohl er IM „Sekretär“ gewesen war, sondern weil. Weil Manfred Stolpe seinerzeit für ein DDR-Bild stand, das sich diametral vom westdeutschen Diskurs unterschied. Die „Bürgerrechtler“ flogen damals aus dem Landtag. „Vollende die Wende“ war de facto ihr Programm, aber das ist eine andere Geschichte. Auch in Brandenburg haben Zehntausende ihre Arbeit verloren – Stichwort: Treuhand –, nicht aber ihre Biografie.
Wenn man so will, ist die Marke Brandenburg eine Erfindung Manfred Stolpes, der wie es sein konservativer Gegenspieler in der Kirchenleitung, Reinhard Steinlein, einmal bemerkte, „ein Freund Preußens und des Hauses Hohenzollern“ ist. In der DDR hat es Sachsen gegeben, Thüringer und Mecklenburger, aber keine Brandenburger, nur Einwohner der Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus. Wenn es eines Tages eine Brandenburger Identität geben sollte, wäre das Stolpes Verdienst.
„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ heißt es bei Kleist im Prinz von Homburg. Die Hohenzollern wollen jetzt ihren Besitz zurück. Schon Marx sagte: „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.“ An gleicher Stelle lästerte er über einen anderen Philosophen, der gesagt haben soll, dass sich historische Ereignisse immer zweimal ereignen. Dieser Hegel habe aber vergessen, hinzuzufügen: „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“
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