Die Linke soll wieder an die Stammtische gehen, forderte unlängst ihr Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Jan Korte. – Nun, vielleicht sollten Linke überhaupt mehr trinken. Ist doch der Alkoholismus, wie Wolfgang Neuss sagt, der berühmte dritte Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus: „offen für jedermann, leicht zu begehen und von schnellem Erfolg gekrönt“. Noch besser wäre es, wenn bei den Genossen endlich Männer und Frauen gemeinsam picheln würden, Jan Korte etwa mit Simone Barrientos, der womöglich einzigen Arbeiterin in seiner Fraktion. (Nur so als Vorschlag!) Etliche Missverständnisse ließen sich so aus dem Weg räumen, auch in Zeiten von Corona. Denn der schlimmste Feind ist immer noch der Feind in den eigenen Reihen. Wo könnte man besser innerparteiliche Feindbilder abbauen? Unter Wahrung des Abstandsgebotes, versteht sich.
Back to the roots! Erinnern wir uns: Die Wiege der Linken stand in einer Spelunke. Während sich das Bürgertum in Kaffeehäuser begab, um Geschäfte abzuwickeln oder über Kunst und Kultur zu disputieren, trafen sich die städtischen Handarbeiter schon immer in den Wirtshäusern. In den Schriften des Frühsozialisten Wilhelm Weitling erscheint das Lokal eines Gesellenvereins als erstes Symbol einer selbstverwalteten Kollektivwirtschaft. Schon bald avancierte die Arbeiterkneipe zum Kristallisationspunkt proletarischen Selbstbewusstseins. Im alten Kaiserreich betrieb die SPD ganze Volkshäuser. Friedrich Ebert begann seine Parteikarriere als Kneipenwirt. Im Wirtshaus sah Karl Kautsky ein „Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariers“.
Der Kulturwissenschaftler Dietrich Mühlberg resümiert über die Kaschemmen des 19. Jahrhunderts: „Zunächst sicherten sie die alltägliche Versorgung der vielen jungen, unverheirateten Arbeiter, die in die Stadt gezogen waren und nur als Schlafburschen unterkommen konnten. Sie hatten für ihre anfangs karge Freizeit keine anderen Orte als Straße und Wirtshaus. Die Kneipe war Zufluchtsort vor Kälte, Regen und Hitze. Schnaps, Bier und Wein gehörten zu den ersten Genüssen, die Arbeiter sich über die elementare Versorgung hinaus leisten konnten. Sie beförderten – im Unterschied zu den nüchternen ‚bürgerlichen‘ Getränken Kaffee und Tee – eine egalitäre Geselligkeit, in der die Distanz zu Fremden mit gleichem Schicksal rasch überwunden war.“ Die Kontakte im Wirtshaus hätten Beziehungen geschaffen, die über Fabrik, Familie und unmittelbare Nachbarschaft hinausgingen. Der hier betriebene Erfahrungsaustausch über Arbeitsbedingungen und Lohnhöhe, über freie Stellen und die proletarische Lage überhaupt habe die Kneipen zu Zentren der Arbeiteröffentlichkeit werden lassen, zu „Keimformen proletarischer Organisation“. Die proletarischen Bildungsvereine seien hier entstanden, wo auch die gewerkschaftlichen Kämpfe beraten und Streiks geleitet wurden.
Trinken hilft! Über die Zeit des Sozialistengesetzes schrieb der SPD-Vordenker Karl Kautsky 1891: „… als alle Vereinigungen der Arbeiter aufgelöst waren, und die Sozialdemokratie trotzdem fortfuhr, als einheitlicher politischer Körper fortzuleben, suchten Polizisten und Staatsanwälte mit verzweifelter Rührigkeit nach der geheimen Organisation, die die ganze sozialistische Arbeiterschaft zusammenhalte. Sie übersahen bei ihren erfolglosen Suchen, dass jedes von Parteigenossen besuchte Wirtshaus einen Geheimbund bildete, der Einmütigkeit im Denken und Handeln verbreitete und den Zusammenhang unter den einzelnen Genossen aufrechterhielt …“ Und heute, Genossen? Der lange Marsch durch die Institutionen darf nicht an der Kneipe vorbeigehen!
Kommentare 7
ja, die kneipe als soziologischer ort!
"die arbeiter waren nicht jeder für sich dem alkohol verfallen;
sie tranken nicht >zu hause<(ein anachronistischer begriff!),
sondern zusammen in der kneipe. hier konnten sie gemeinsam
für ein paar stunden in der woche ihre schwierigkeiten und probleme
am arbeitsplatz, ihre unwürdigen arbeitsbedingungen vergessen - oder
auch besprechen.
kinderreiche familien, beengte wohnbedingungen,
die ganze dürftige häuslichkeit trieb die arbeiter in die kneipe,
wo anstelle der hierarchischen beziehungen in der fabrik
und des sicher konflikthaltigen sozialgefüges der familie"...
offen-gesprochen weden konnte.
"und hier war auch der ort, an dem 1821 so etwas wie "arbeiteröffentlichkeit "
entstehen konnte. hier wurde die individuelle erfahrung vom arbeitsplatz
veröffentlicht, hier konnte sich gemeinsamkeit der interessen erweisen,
gemeinsamkeit der anschauungen herstellen
und gemeinsamkeit des handelns organisieren."
so die autoren henkel/taubert in ihrem überaus lesenswerten buch:
"maschinenstürmer. ein kapitel aus der sozialgeschichte
des technischen fortschritts." ffm 1979.
dort beschreiben sie u.a. detailliert einen maschinensturm in eupen 1821
und wie der (preußische)landrat daraufhin anordnete,
"die wirte hätten ihre häuser bereits um 7 uhr abends zu schließen".
Tja, so ist zu erklären, dass die Revolution zwar ein weibliches Wort ist, die Kneipe auch, aber die Kneipengäste eben Männer.
In der Kneipe konnten sie sich von der zänkischen Ehefrau, die die Reproduktionsarbeit leistete, (welche bei Karl Marx gar nicht vorkam) oder von den lauten kreischenden Bälgern entfernen und die nächsten epochalen Kämpfe planen. Wenn dann noch Geld übrig war .... wurde es nach Hause getragen. Dort vielleicht auch noch die murrende Ehefrau zur Ordnung gerufen, weil Revolution und Befreiung sich nicht bis in den düsteren HInterhof rumgesprochen hatte.
Die Kneipe ist was "Uriges" , aber man sollte sie nicht zu sehr aufhübschen. Vom Tresen auf die Barrikade.... naja.
Die Kneipen waren ja auch immer Orte des konkreten Kampfes "Mann gegen Mann" und zwar zwischen "links" und "rechts", denn auch die "Rechten" saßen und sitzen gern in der Kneipe rum.
Sonst fällt mir noch der sozialistische Kneipenspruch ein
"Erst hämmern und sicheln
dann pimpern und picheln "
Klassenpolitik ist Kneipenpolitik. Prost Revoluzzer.
Vielleicht ist Kneipe ja weiblich wegen der Kneipenwirtinnen, derer es ja vielleicht sogar mehr als Wirte gab und gibt. :-)
Ja, die Kneipe war ein Männerort. Das ist nicht mehr zu ändern oder auch beim besten feministischen Willen nicht mehr aufzuräumen. Wobei es wohl auch so war, dass in den Jahrzehnten vor dem Krieg mehr Frauen in den Kneipen zu sehen waren, als während der ersten westdeutschen Nachkriegsjahrzehnte. Aber diese Kneipen gibt es heute eh nicht mehr. Frau ist heute genauso in der Kneipe wie Mann. Oder es handelt sich um einen dieser Läden, deren Fensterscheiben blind gemacht sind. Darin sitzen nur türkische Opas.
@Krampitz: Wie immer ein flotter Text! Aber das Bürgertum blieb nicht nüchtern bei Kaffee und Tee. Im Café ist's schon mal der Cognac. Überhaupt soffen und saufen die nicht unbedingt weniger, als das Proletariat.
"eine gastwirtschaft aufzumachen war für manchen arbeiter
ein ausweg aus der arbeitslosigkeit. die konzessionen wurden anscheinend sehr
freigiebig verteilt, und viel kapital brauchte man zum betrieb einer schankstube
gewiß nicht: ein zimmer, tische und stühle, ein faß bier und ein paar flaschen
schnaps dürften für den anfang ausgereicht haben.
aus der relativ hohen zahl von frauen unter den gewerbesteuerpflichtigen wirten
schließen wir, daß verwitwete frauen öfters durch den betrieb einer gastwirtschaft
ihr leben zu fristen versuchten. (es ist unwahrscheinlich, daß verheiratete frauen
solch ein unternehmen unter ihrem eigenen namen hätten führen können.)"
op-cit. s.55
Was bleibt den Frauen da schon anderes als das Freitagsforum, wenn die Kneipen schon besetzt sind. :-)
Andererseits scheint den "Linken" bereits der Freitag als hinreichender Ersatz, zumal preiswerter zu haben und auch beim "Holzen" ohne Gefahr.
Jedenfalls scheint Abhängigkeit auch ohne Alkohol möglich, auch wenn die Übereinstimmung dann rein zufällig sein muss. Selbstversuch: nach wie viel Tagen wird die Auszeit vom Chat als Verlust wahrgenommen?
Es gibt nur leider kaum noch klassische Kneipen mit Pils, Korn und Fluppe, Stumpen rauchende Rentner, im Hinterzimmer Billard und einer abgetakelten Altagsweisen mit Herz und Schnauze oder einem zapfenden Lederschürzenträger hinter dem Tresen, Soleier, Striche auf dem Bierdeckel und überquellende Ascher auf der Theke. Restaurants, Schickimicki-Buden, Lifestyle-Gastronomie und ergonomischen Einrichtung, Gäste mit veganem Geist, Lactose- und Cholesterinfragen darin. Die gute alte Kneipe ist so verschwunden wie die Wähler und Mitglieder der SPD... Um die Kneipe ist es wirklich schade.