Linkspartei hat zu Armut, Corona, Klima und Krieg nichts mehr beizutragen

Kolumne Alle wichtigen gesellschaftlichen Debatten werden mittlerweile ohne die Linke verhandelt. In der Partei wird Politik nur noch simuliert. Sie sollte die Notbremse ziehen
Ausgabe 21/2022
Für die Linke ist nur noch Platz im Sandkasten
Für die Linke ist nur noch Platz im Sandkasten

Foto: Steffi Loos/Getty Images

Ein jegliches hat seine Zeit, weiß die Bibel zu berichten. Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Für manches mag die Zeit leider vorbei sein. Auch für Utopien. Früher konnten wir uns das Ende des Kapitalismus vorstellen – heute reden wir vom Ende der Menschheit. Der jüngste Klimabericht der WMO, der Weltorganisation für Meteorologie, sieht ein 50-prozentiges Risiko, dass sich die Erde temporär bis 2026 um 1,5 Grad erwärmt.

Noch im Jahr 2015 habe die Wahrscheinlichkeit dafür bei null gelegen. Will heißen: Das war’s, Freunde. Eine Revolution, die im Marx’schen Fortschrittsglauben den Systemwechsel bringen soll und uns alle erretten möge, käme um viele Jahre zu spät.

Und überhaupt, die Linkspartei, ehrlich jetzt? Egal wie dort die Erneuerung ausgehen mag, ihr Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs ist marginal. Die wichtigen Themen werden ohne die Linke verhandelt. Und daran wird sich so schnell nichts ändern. Ihr Verhältnis zu den außerparlamentarischen Bewegungen gilt als zerrüttet. Erinnern wir uns: Als die Linksfraktion im Bundestag unlängst für den Klimaausschuss den einzigen ihr zustehenden Ausschussvorsitz an Klaus Ernst vergab, den Porschefahrer und damaligen Nord-Stream-2-Befürworter, brach sich auf den Meinungsplattformen im Internet ein Unwetter Bahn. Auf den Protestbrief, den 10.000 Menschen unterschrieben hatten, reagierte via Twitter Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, mit der Frage: „Lack gesoffen?“

Linkspartei simuliert Politik nur noch

Aufgabe der Linken ist es, dafür zu sorgen, dass so viele arme Schlucker wie möglich ein besseres Leben führen. Doch die Niedriglöhner, die Hartz-IV-Empfänger und Alleinerziehenden erreicht die Partei schon lange nicht mehr, jedenfalls nicht zu den Wahlen, und die Künstler und Intellektuellen ohnehin nicht. Warum sollten die für eine Partei werben, die bei den zentralen Themen unserer Zeit – Krieg und Vertreibung, Corona und Klimakatastrophe – so gut wie nichts beizutragen hat?

Eine Partei, die Politik simuliert, mit Nebelkerzen in Gestalt von Anträgen zu den Leitanträgen auf Parteitagen, mit Rede und Gegenrede, mit Diskussionspapieren und nicht enden wollenden Schuldzuweisungen. Denn all diese Vorgänge wirken nur innerhalb der eigenen Blase; Politik aber ist das, was bei den Leuten ankommt. Genau hierin, in der Existenz einer solchen Bubble, liegt das Problem: Schon zu PDS-Zeiten entstanden, hat sie sich vom echten Leben nahezu komplett abgesondert; eine Partei in der Partei, die sich auf Parteitagen selbst kontrolliert und abfeiert.

Man möchte meinen, die Fähigkeit der Linken, ihre Wählerinnen und Wähler anzusprechen, verhalte sich diametral zur Einkommensentwicklung der Nomenklatura. Linke Bundestagsabgeordnete beziehen an Diäten mittlerweile das 20-Fache des Hartz-IV-Regelsatzes, und die Leute draußen sind ja nur arm, nicht blöd. Bei der Konkurrenz mag derlei Vergütung kein Problem sein; CDU-Mandatsträger entfremden sich nicht ihrer sozialen Basis, sobald ihr Einkommen wächst und wächst. Anders ist das in einer Partei, die 2005 allein dank der Anti-Hartz-IV-Proteste in den Bundestag zurückgekehrt ist. Gerade jenen Genossen, die ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als nach Macht und Mandaten zu gieren, hätte man Macht und Mandate verweigern sollen. Schade.

Dabei wäre es gerade jetzt an der Zeit. Marx sah in den modernen Revolutionen noch die „Lokomotiven der Weltgeschichte“. Walter Benjamin kommentierte ebenjene Metapher mit den Worten: „Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.“ Und dafür wäre es noch nicht zu spät.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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