Mit Krieg taten sich Protestanten nie schwer

Religion In 500 Jahren evangelischer Kirche berief sich nie ein führender deutscher Geistlicher auf sein Gewissen, wenn es um den Dienst an der Waffe ging
Ausgabe 14/2021
Luthers Stehvermögen vor dem Kaiser, sein Postulat vom Gewissen als letzter moralischer Instanz des Menschen, überstrahlt bis heute alles. Auch dass er es irgendwann mit dem Gewissen nicht mehr so genau nahm
Luthers Stehvermögen vor dem Kaiser, sein Postulat vom Gewissen als letzter moralischer Instanz des Menschen, überstrahlt bis heute alles. Auch dass er es irgendwann mit dem Gewissen nicht mehr so genau nahm

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Ganze 500 Jahre alt wird dieser Tage der wohl berühmteste Satz des Protestantismus: „Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir, Amen.“ Ein Satz, den Martin Luther so nicht gesagt hatte, vor dem Reichstag zu Worms am 18. April 1521 – aber so gemeint. Wie sein Biograf Heinz Schilling schreibt, hatten seinerzeit die Lektoren in Luthers Buchdruckerei den ihnen zugespielten Redetext auf geniale Weise zugespitzt – ohne Luthers Mitwirkung, saß der Reformator doch bereits auf der Wartburg fest.

Luthers Stehvermögen vor dem Kaiser, sein Postulat vom Gewissen als letzter moralischer Instanz des Menschen, überstrahlt bis heute alles. Auch dass er es irgendwann mit dem Gewissen nicht mehr so genau nahm. Im Jahr 1531 oder 1532 erklärte der zornige Augustinermönch, falls er je wieder einen Juden taufen würde, so werde er diesen auf die Elbbrücke führen, ihm dort einen Stein um den Hals hängen und ihn mit den Worten hinunterstoßen: „Ich taufe dich im Namen Abrahams.“

Eines Tages sollte sich ein gewisser Julius Streicher in Nürnberg vor Gericht verteidigen mit dem Verweis auf den Reformator: „In dem Buch ‚Die Juden und ihre Lügen‘ schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.“

In den 500 Jahren evangelischer Kirche in Deutschland respektive im Deutschen Reich und davor im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation berief sich nie auch nur ein führender deutscher Protestant auf sein Gewissen, sobald es in den Krieg ging. Die evangelische Kirche segnete zu allen Zeiten deutsche Waffen und Soldaten. Denn die Hand, die das Schwert führte, war wie bei Luther „nicht mehr Menschenhand, sondern Gotteshand, und nicht der Mensch, sondern Gott hänget, rädert, enthäupt, würget und krieget; es sind alles seine Werke und seine Gerichte“. Schon im Krieg gegen Dänemark 1864 reklamierten preußische Militärgeistliche Gott für ihre Seite; ebenso 1870/71 im Krieg gegen Frankreich, als etwa der Divisionspfarrer Moldenhauer den Landsern zurief: „Soldaten, wir gehen dem Feind entgegen. Seid getreu bis in den Tod. Kraft meines Amtes vergebe ich Allen, die bußfertig ihre Sünden bereuen und sich des Verdienstes Jesu Christi im Glauben getrösten, im Namen des dreieinigen Gottes ihre Sünden. (…) Vorwärts mit Hurra!“ Später dann, im Ersten Weltkrieg, sahen deutsche Militärpfarrer in der eigenen Armee gar die „gekreuzigte Menschheit“; die Kreuzigung war der Krieg, in dem die Kameraden helfen sollten, „die deutsche Erlösung zu schaffen“. Allzu gern wurde in der Predigt der Aufruf zur erhöhten Kampfbereitschaft mit dem Auferstehungsglauben gekoppelt. Wer bereit war, sein Leben für Nation und Vaterland zu geben, dem sollte das ewige Leben winken – evangelische Militärseelsorge als Appendix der imperialistischen Durchhaltepropaganda.

Auch im Zweiten Weltkrieg wirkten Militärseelsorger als Trostproduzenten für deutsche Soldaten (nicht etwa für deren Opfer). Und die Bekennende Kirche, die gegen die Gleichschaltung von Kirche und NS-Staat eintrat? Von keinem Bonhoeffer-Schüler wurde später bekannt, dass er sich der Einberufung zur Wehrmacht entzogen, den Kriegsdienst verweigert hätte oder gar irgendwann desertiert wäre. Nicht ein Bonhoeffer-Seminarist hat als Soldat „Nein“ gesagt, „ohne mich!“. Einer der Gründer der Bekennenden Kirche, Bischof August Marahrens, der Vorsitzende des sogenannten Geistlichen Vertrauensrates, gratulierte Adolf Hitler sogar bei Beginn des Russlandfeldzuges via Telegramm und versicherte ihm die „unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft der gesamten evangelischen Christenheit des Reiches“.

Die EKD aber, die Evangelische Kirche in Deutschland, erinnert dieser Tage lieber an Luther in Worms.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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