Wo bleiben die Kieler Matrosen?

Bundeswehr Der neue Erlass erklärt neben der Wehrmacht die Nationale Volksarmee der DDR für „traditionsunwürdig“ – und vergisst eigentliche Vorbilder wie Karl Rudolf Brommy
Ausgabe 14/2018
Ein neues Bewusstsein braucht andere und neue Vorbilder
Ein neues Bewusstsein braucht andere und neue Vorbilder

Foto: Morris MacMatzen/Getty Images

Die Benennung von Straßen oder Kasernen nach Verstorbenen dient nicht nur dem Andenken dieser Menschen – die Politik will immer auch Einfluss nehmen auf das historische Gedächtnis. Die Deutungshoheit zur Geschichte verspricht kulturelle Hegemonie und damit Wahlsiege. In diesem Sinne zielt der neue Traditionserlass der Bundeswehr auf das kollektive Bewusstsein der Truppe. „Was macht uns eigentlich aus?“, sprach die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen jüngst in ihrer Rede zur Umbenennung einer Kaserne in Hannover, deren Name bis dahin an einen General im Ersten Weltkrieg erinnerte. „Wo kommen wir her?“ Mit all den Nazidevotionalien, die im letzten Jahr in Spinden und Stuben gefunden wurden, soll fortan Schluss sein. Gut so.

Doch im selben Erlass wird bemerkenswerterweise neben der Wehrmacht auch die Nationale Volksarmee der DDR für „traditionsunwürdig“ erklärt. Was sollte das auch für eine Tradition sein? In der deutschen Militärgeschichte ist die NVA vermutlich die einzige Truppe, die nie zum Einsatz gekommen ist; die ihre Beteiligung am Ernstfall lediglich simuliert hat. Konkret: die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch die Armeen der Warschauer-Vertrags-Staaten im August 1968. Ganz im Unterschied zur Bundeswehr, die ja heute tatsächlich Krieg führt, diesen aber als eine Art Entwicklungshilfe für Afghanistan deklariert.

Die Zeit schrieb unlängst: „Jetzt, nachdem es keine Hoffnung mehr gibt auf einen Sieg gegen die Taliban, scheuen deutsche Außenpolitiker ein Wort, das noch viel verstören-der klingt: Niederlage. Seit 1945 mussten Deutsche dieses Wort nicht mehr aussprechen.“ Von den rund 16.000 Soldaten zu Spitzenzeiten seien 980 geblieben. Seit 2001 flossen zehn Milliarden Euro in den „Stabilisierungseinsatz“. Kein Cent davon in eine Entschädigung für die Dutzende von zivilen Opfern, die die Bundeswehr zu verantworten hatte beim Bombardement in Kundus 2010. Und weil die Niederlage der Bundeswehr irgendeinen Sinn ergeben muss, heißt in Hannover die Kaserne jetzt „Hauptfeldwebel Lagenstein“, nach einem Soldaten, der bei einem Anschlag der Taliban ums Leben kam. Von der Leyen fragte beim Appell: „Was können wir aus der Geschichte für das Heute lernen?“ – Zum Beispiel, dass man Geschichte als Ganzes annehmen muss. Es waren Angehörige der alten Militärelite, ehemalige Wehrmachtsgeneräle, die 1955 die Bundeswehr gegründet haben. So zu tun, als hätte die heutige Bundeswehr historisch so gar nichts mit Wehrmacht und Reichswehr zu tun, ist nicht redlich. Eine Tradition kann man ablehnen, aber keine Geschichte. Geschichte kommt von „geschehen“.

Und passiert ist so einiges, aber davon will die Ministerin nichts wissen: Vor knapp 100 Jahren hat es in Berlin eine Volksmarinedivision gegeben, deren Angehörige maßgeblich zum Sturz des Kaisers beigetragen haben. Der Aufstand der Kieler Matrosen gehört nur leider zum verschmähten Erbe der Bundeswehr; ebenso wie die Kämpfer des Thälmann-Bataillons, die im November 1936 unter größten Verlusten das demokratische Madrid gegen die Putschisten verteidigt haben. Und überhaupt, warum gibt es hierzulande keine „Brommy-Kaserne“ mehr? Der legendäre Konteradmiral Karl Rudolf Brommy brach am 4. Juni 1849 bei Helgoland das einzige Seegefecht unter schwarz-rot-goldener Flagge ab, gegen die dänische Kriegsflotte – aus diplomatischen Gründen und ohne dass es Tote oder Verletzte gegeben hatte. Was für ein Vorbild!

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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