Aber auch wieder nur eine schnöde Tür! Es stand im Grünen, an einem See versteckt gelegen zwischen Kiefern, Königs Wusterhausen und Märkisch Buchholz, Anna Seghers’ Sommerhäuschen. Lange schon waren Grundstück und Haus verkauft worden, Seghers’ Nachkommen hatten es noch weiter nutzen dürfen, bis 2018. Dann musste die Familie das Haus nach einem Rechtsstreit räumen; davon wurde in der Lokalpresse berichtet. Und so konnte man sie noch einmal in der Zeitung sehen: diese Tür, einfach eine Haustür. Über die hat Anna Seghers, wie wir im vorliegenden Buch erfahren, oft nachgedacht.
„Immer“, sagt die 82-Jährige ihrem Gesprächspartner Achim Roscher ein knappes Jahr vor ihrem Tod im Jahr 1983, „immer wollte ich ein Haus mit einer großen Flügeltüre haben, das wäre mir jetzt nützlich, aber da kannst du nit helfen. Mit einer Flügeltür ins Freie fliegen, das möchte ich.“ Roscher will der verehrten Autorin durchaus helfen, mit einer Pflege und „dann dort so eine Tür ...“, aber er erfährt, dass man ihr eine Flügeltür bereits einmal besorgt hatte, die sie dann nicht wollte aus Angst vor Einbrechern. Nein. Es gab sie nicht im Leben der Anna, die Flügeltür ins Freie. Jedenfalls keine aus Holz und Glas.
Die neue deutsche literatur war eine Monatsschrift des DDR-Schriftstellerverbands. Sie brachte Literatur seit 1952, und ewig und drei Tage lang ist Achim Roscher dort Redakteur gewesen. 1961 – Seghers ist so alt wie das Jahrhundert, Roscher noch nicht 30 – lernt er die Schriftstellerin kennen. Zunächst gelegentlich und eher kurz, später öfter und ausführlicher unterhalten sie sich. Roscher macht Notizen oder nimmt auf Tonband auf. Daraus ist jetzt ein Buch geworden, Hardcover, Lesebändchen.
Dabei, die Gespräche kommen schwer in Fahrt. Woran liegt’s? Sind es Marginalien, über die die Zeit hinwegging? Oder die Redundanzen, weil das Vorwort schon aus den Gesprächen zitiert, man dann in Vor-Sätzen zu den Gesprächen aber immer noch wieder Hinweise bekommt, die man schon aus dem Vorwort kennt? Auch bleibt Roschers Arbeit in seiner Redaktion blass.
Vor allem sind es die Unterhaltungen selbst. Da gibt es die Verliebtheit, Eigenheiten der Seghers zu zitieren, „du, horchemol!“, doch die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden aufzuzeigen, gelingt kaum. Und das hätte man der Kleist verehrenden Kleist-Preisträgerin doch gern zugestanden.
Einmal insistiert er
Interessant lesen sich Kindheits- und Exilerinnerungen, die die Seghers erzählt. Und gegen Ende einmal entsteht ein schöner Bogen, der über mehrere Gespräche sich aufbaut und endlich erschließt. Es geht um einen Briefwechsel Seghers’ mit F. C. Weiskopf aus der Zeit des Exils, den die ndl veröffentlichen will. Weiskopf hatte der Autorin und ihrer Familie aus den USA heraus in ihrer mexikanischen Not oft und großzügig geholfen. Dennoch muss die Seghers bei ihm über zu wenig Unterstützung geklagt haben, und dem Freund platzte gewaltig der Kragen. Sie, nun darauf angesprochen, hat zunächst vollkommen vergessen, dass es einen Streit überhaupt gab. Roscher – endlich tritt er einmal aus der Rolle des eilfertig Bediensteten – insistiert. Und tatsächlich. Seghers erinnert sich. Es ist ihr peinlich. Sie will nicht unachtsam, undankbar gewesen sein. Weiß aber nun, dass sie’s war. Und gesteht es schweren Herzens ein.
Ja, ein größerer, zum Werk hin sich öffnender Horizont. Den wünscht man dem Buch. Ein Beispiel. Die ndl druckt im Oktober 1964 Seghers’ später berühmte, später verfilmte Erzählung Das Schilfrohr. „Ein kleines Anwesen an einem See hinter Berlin …“ Es gelingt in der Story zur Nazizeit einem Kommunisten zu überleben, weil er sich ein paar Stunden im Wasser eines Sees liegend verborgen halten kann, durch ein Schilfrohr atmend.
Kann man durch ein Schilfrohr atmen? Die Frage treibt Seghers um. Roscher ist skeptisch. Aber „die Geschichte soll wirklich passiert sein!“, behauptet die Autorin, und am Ende tut der Held ja auch genau das. Atmet durchs Rohr. Überlebt. Große Literatur. Im vorliegenden Buch bleibt die Sache winzig. Mehr Gespräch war eben nicht, schade. Gab es im Nachgang Kritik von Wahrscheinlichkeitskrämern? Hat der Minister für See- und Schilfrohrwirtschaft sich eingeschaltet? Franz Fühmann nahm den Einfall jedenfalls in einer Poetik-Vorlesung als ihm dringend notwendiges Beispiel dafür, dass poetische Wahrheit mehr ist als Wahrscheinlichkeit. Denn, nein, man kann durch ein Schilfrohr nicht atmen, die Knoten lassen keine Luft durch. Aber ist das aller Weisheit Ende? Und hatte die Seghers nicht schon im Siebten Kreuz einem anderen Kommunisten, Heisler, bei seiner Flucht aus dem KZ die Natur fast magisch rettend beigesellt? Nebel kam auf, hüllte ihn ein, schützend vor den Schergen.
Darüber hinaus, die Sache hat auch eine historische Dimension; der belesene Fühmann wird es gewusst, aber vielleicht aus taktischen Gründen unterschlagen haben. Der Trick steht in Johann Christian Pfisters Geschichte der Teutschen, der wiederum sein Wissen dem Strategikon des Maurikios verdankt. Bei Pfister heißt es über die kämpfenden Slawen zur Zeit des Römischen Reichs: „Hitze und Kälte ertrugen sie infolge ihrer rohen Lebensart, und hatten dabei eine ganz eigene Geschmeidigkeit. Sie konnten sich im Hinterhalte in einen möglichst kleinen Raum zusammendrücken, oder, von Feinden verfolgt, lange unter dem Wasser verborgen halten, indem sie durch Schilfröhren Athem holten.“ – Vielleicht hätte eine essayistischere Aufbereitung der Seghers-Gespräche weitere Räume eröffnet. Mehr Luft zum Fliegen.
Info
Mit einer Flügeltür ins Freie fliegen. Gespräche Anna Seghers und Achim Roscher Verlag Neues Leben 2019, 192 S. 20 €
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.